Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
verkaufte uns meine ersten langen Cordhosen, und später ging meine Mutter dann einmal im Monat hin, um ihm die jeweilige Rate zu bringen. Meine Güte, für ein Paar Hosen! FOLCO: Hattest du nur ein Paar Hosen?
TIZIANO: Ja, natürlich. Sonntags wurden sie gewaschen, und am Montag zur Schule konnte ich sie wieder anziehen. So war das, Folco, so war das. Mein Gymnasium lag an einem der schönsten Orte von Florenz, ich weiß nicht, ob ich dir das mal gezeigt habe? An der Piazza Pitti. Da habe ich Dante und Manzoni gelesen, verstehst du? Mit Blick auf den Palazzo Pitti. War das schön! In diese völlig andere Welt einzutauchen, in diese schöne Sprache... Weißt du, die Liebesgeschichte zwischen Renzo und Lucia hatte mich richtig gepackt. Der Winkeladvokat, die Armen, die von den Reichen, den Mächtigen, den Priestern betrogen werden - ich war hingerissen.
FOLCO: Und was begeisterte dich damals sonst noch?
TIZIANO: Die Mädchen! Damals habe ich die Mädchen entdeckt, denn vorher waren wir immer getrennt gewesen. In der Grundund Mittelschule kriegte man sie nicht mal zu Gesicht! Aber im Gymnasium, als ich am ersten Morgen in die Klasse kam, saß in der ersten Reihe ein blondes Mädchen. Und ich - zack! - gleich daneben. Sie war drei Jahre lang meine Freundin. Sie hieß Isa. Ich wurde gezwungen, mich offiziell mit ihr zu verloben, weil wir zusammen ausgingen, dabei waren wir noch Kinder. Es war ganz anders als heute, an Sex war überhaupt nicht zu denken. Nachmittags, nach der Schule, gingen wir Hand in Hand in der Via dei Colli spazieren. Eines Tages erwischte uns ihr Vater, ein Bauunternehmer, der ein Auto besaß - meine Güte, ein Auto! - und meinte: „Dann verlobt ihr euch jetzt offiziell, denn ich will nicht, dass meine Tochter …“
FOLCO: Ihr musstet euch richtig verloben?
TIZIANO: Ja, bei ihnen zu Hause. Sogar meinen armen Vater musste ich überreden, mit einem Blumenstrauß in der Hand von der Porta Romana bis zu ihrer Villa hinaufzugehen und diese Idioten kennenzulernen. Wenn ich denke, dass ich dann noch zwanzig andere Freundinnen hatte, wenn ich in Orsigna war …
Im dritten Jahr des Gymnasiums, da war ich sechzehn, wollte ich unbedingt ins Ausland. Also sind ich und mein Freund Cleto Menzella zum Bahnhof gegangen und haben das Journal de Génève durchgeblättert, um uns für die Sommerferien eine Arbeit in der Schweiz zu suchen. Und dann passierte diese lustige Geschichte. Wir fanden die Anzeige eines großen Hotels in Bey sur Vevey, die einen garçon d’office suchten. Ich lernte damals Französisch und war überzeugt, alles zu verstehen. Trotz der Tränen meiner Mutter beschloss ich also, die Ferien nicht in Orsigna zu verbringen, sondern mit Menzella zum Arbeiten in die Schweiz zu fahren. Wir unterschrieben den Vertrag mit dem Hotel und besorgten uns Arbeitspapiere und einen Pass. Als wir ankamen, sagte der Personalleiter zu uns: „Ihr könnt euch hier in diesem Zimmer mit dem anderen Dienstpersonal einrichten, und dann zeige ich euch das office. “
Wie ich feststellen musste, war das office nicht etwa das Büro, wo ich eingebildeter Schnösel sitzen und Schreibmaschine schreiben konnte, sondern der stinkende Spülraum, wo ich von morgens bis abends Teller waschen musste. Das passte mir natürlich gar nicht, und so blieb ich nicht lange dort. Ich freundete mich mit einem Angestellten an und stieg schon bald in die Putztruppe auf. Dort lernte ich noch ein neues Wort, encostiquer, bohnern, und so bohnerte ich nun also die Holzfußböden.
Nach einiger Zeit, anderthalb Monaten oder so, ließen wir uns auszahlen und machten uns aus dem Staub, da oben in den Bergen war es uns zu blöd geworden. Und damit begann ein anderes tolles Abenteuer. Wir trampten durch Europa nach Paris. Place Pigalle, das erste Mal vor dem Moulin Rouge - Wahnsinn! Wir liefen durch die Stadt, schliefen in der Jugendherberge, lernten ein paar Mädchen kennen, die uns einluden. Dann fuhren wir über Belgien und Deutschland zurück nach Italien. Das war das erste Mal, dass ich in die Welt hinausging, und ich begriff: Das war mein Weg! Ich würde mir alles ansehen. Und dieses Bestreben ist mir geblieben, jeder Vorwand zum Reisen war mir recht. Ich liebte alles, was anders war. Noch heute habe ich den Geruch dieses office in der Nase, und den des Bohnerwachses auf den langen Holzfluren. Weißt du, einfach alles war anders: das Essen roch anders, die Straßen rochen anders. Das war 1955, und für einen Halbwüchsigen aus Florenz
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