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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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Literatur soll das auch nicht werden. Ich habe mein Leben lang mit Wörtern jongliert, wie du weißt, und es wäre mir ein Leichtes, das auch hier wieder zu tun. Doch was ich hier erzählen möchte - und ich hoffe, es gelingt mir -, ist … die Wahrheit, die hinter den Worten steckt. Was ich übrigens immer getan habe, und worin der Sinn meiner Tätigkeit lag.
    Also, wo waren wir stehen geblieben?
    FOLCO: Du bist an die Scuola Normale in Pisa gegangen, eine Elite-Universität. Aber warum hast du Jura studiert? Wolltest du nicht Journalist werden?
    TIZIANO: Doch, der Journalismus hatte es mir angetan.
    Ich weiß noch, wie begeistert ich mit fünfzehn, sechzehn Jahren bei den Radrennen am Abetone den Sportlern mit der Vespa meines Vaters hinterherfuhr und darüber Artikel für die Zeitung Il Mattino schrieb. Was für ein Glück, was für ein Gefühl von Macht mir dieses Schildchen um den Hals mit dem Wort JOURNALIST darauf verlieh! Ich kam in die Bergdörfer, stellte mich dem Bürgermeister und den Organisatoren vor, und sofort hieß es: „Platz da, hier kommt der Journalist!“Dieses „Platz da, hier kommt der Journalist“ist mein Leben gewesen! Überall dabei sein zu können, wo etwas passierte. Das Recht darauf zu haben, ganz vorne in der ersten Reihe zu stehen und beobachten zu können, was an den Schaltstellen der Macht geschieht.
    Aber schon bald merkte ich, was für ein mieses Ambiente das zugleich war, in dem vor allem abgesahnt wurde. Überall saßen Leute, die in ihrem Beruf gescheitert waren, Günstlinge entweder der Pfaffen oder der Kommunisten, die durch Beziehungen eingestellt worden waren und für immer auf ihren Posten hockten. Das kannte ich nur zu gut vom Mattino , genau solche Leute waren dort meine Chefredakteure gewesen
    Deshalb entschied ich mich, an der Scuola Normale, die für Italien das Nonplusultra darstellte, Jura zu studieren. Meine Kommilitonen waren Leute von der Preisklasse eines Giuliano Amato, der später Regierungschef wurde.
    FOLCO: Und wieso hast du dich für Jura entschieden?
    TIZIANO: Ganz einfach: Ich war arm und wollte die Armen gegen die Reichen verteidigen. Ich war schwach und wollte die Schwachen gegen die Starken verteidigen. Und ich dachte, das ginge am besten als Anwalt.
    FOLCO: Wo sahst du denn diese ganze Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich?
    TIZIANO: Überall, entschuldige mal! Mein Vater, der Graf Gondi, alles um mich herum! Mein Vater, der von morgens bis abends schuftete, und trotzdem reichte das Geld nicht bis zum Monatsende, verdammt noch mal! Und daneben Isas Vater, der seine Tochter mit dem Auto abholte und unsere Verlobung in seiner prächtigen Villa feiern ließ. Wer war der denn?!
    Außerdem waren das die Jahre der großen gesellschaftlichen Konflikte, Folco. Vergiss nicht, dass Italien fast kommunistisch geworden wäre. Die CIA und die Kirche haben Milliarden investiert, um die italienischen Wahlen zu manipulieren. Damals standen sich zwei Lager gegenüber, die Christdemokraten und die Kommunisten, bewaffnet, auf Togliatti haben sie’48 sogar geschossen.
    Was ich dir gern klar machen würde, ist, dass auch Leute wie ich, die keine Marxisten-Leninisten waren - ich habe Marx gelesen, wie man Victor Hugo las, aber Marxist-Leninist bin ich nie gewesen - von dieser Weltanschauung beeinflusst waren. Die ganze Gesellschaft war es. Die Grundidee war folgende: Nach dem Krieg lag Europa zerstört am Boden, die Nachkriegszeit war furchtbar. Überall Armut, Städte, die wieder aufgebaut werden mussten, auch in Florenz waren die Brücken gesprengt. Und nun ging es darum, den Frieden wieder herzustellen, Institutionen zu schaffen, die in Europa Harmonie und Nie-Wieder-Krieg gewährleisten konnten, was dann ja auch geschehen ist. Dabei waren die Ideen natürlich wichtig, aber es gab eben auch die Materie - man spricht ja nicht zufällig von historischem Materialismus -, und diese Materie hatte ihre chemischen und physikalischen Gesetze, ihre Naturgesetze. Und ihre historischen Gesetze. Man glaubte, die „gesellschaftliche Materie“beeinflussen und gestalten zu können, so wie man mit einer chemischen Reaktion die organische Materie verändern kann.
    Die Materie der Materie war der Mensch, und die Materie der Materie der Materie die Gesellschaft. Daher der Gedanke, man könnte die Gesellschaft verändern. Man hatte damals nichts anderes im Sinn, jedenfalls meine Generation nicht. Wenn ich an meine Kommilitonen denke, so wollten alle - ob sie nun Jura, Politik,

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