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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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vielleicht. Aber das will nichts heißen. Worum es geht, ist die Reise, das Streben nach einer anderen Weltanschauung.
    Da gibt es diese Geschichte von dem armen Mönch - wie hieß er noch gleich? -, der sein Leben lang auf die Erleuchtung wartete. „Wenn sie wenigstens ein einziges Mal über mich kommen würde! Doch schon wieder ist sie über jemand anderen gekommen, und ausgerechnet auf der Autobahn!“
    FOLCO: Nein, Papa, dieses Aufleuchten der Unermesslichkeit erleben viele, daran gibt es keinen Zweifel. Diesen Augenblick, in dem du spürst, alles begriffen zu haben, diesen Moment, der womöglich nur ein paar Minuten dauert, den haben auch wir beide erlebt, nicht? Auch ich, als ich vor der Filmkamera den tibetischen Lama interviewte. Auf einmal schien alles umher zu einem Traum geworden zu sein, durch den ich zum ersten Mal die Wirklichkeit sah, eine Leere aus Licht … Mit Tränen in den Augen und einem Gefühl überströmender Freude ging ich fort.
    TIZIANO: Der Schimmer der Ewigkeit.
    FOLCO: Der Schimmer der Ewigkeit.
    TIZIANO: Den haben wir beide erlebt.
    FOLCO: Was meinst du, gibt es einen Zustand der Seele, des Geistes, des Seins, den man erreichen kann, indem man …
    TIZIANO: … kifft?
    FOLCO: Nein! Gibt es ein Ziel jenseits … jenseits dieses Zustands, in dem du jetzt weilst? Ist es möglich, noch einen Schritt weiter zu gehen, kann man noch etwas anderes aus sich machen?
    TIZIANO: Ich glaube nicht.
    Pause.
    Und würde ich es wünschen, würde ich alles verneinen, woran ich gearbeitet habe. Denn es wäre ein Verlangen. Wenn ich ehrlich bin, ist das, was ich gefunden habe, für mich schon sehr viel. Wer hätte das gedacht, dass ich mein Leben trotz einer Krebsdiagnose ohne jede Hoffnung bis zum Schluss genießen würde? Sollte mir das nicht reichen? Was sollte ich denn sonst noch wollen? Hm? Dass man mir ein Denkmal setzt?
    FOLCO: Nein, natürlich nicht. Wenn, dann wäre es etwas Innerliches.
    Ich überlege.
    Obwohl … vielleicht hast du recht; wenn man den Tod annimmt, was kann man dann noch wollen? Was kann es innerlich Größeres geben, als den eigenen Tod anzunehmen?
    TIZIANO: Noch ein Schritt weiter wäre es, Gut und Böse zu integrieren, Leben und Tod. Wenn du das nicht nur mit dem Kopf verstehst, sondern wenn dir diese Integration wirklich gelingt, hast du intuitiv, mit dem Herzen, die Quintessenz des Universums erfasst; dass es zwischen asuras und devas im Grunde keinen Unterschied gibt, dass Dämonen und Götter sich zwar zu bekämpfen scheinen, letztendlich aber ein und dasselbe sind.
    FOLCO: Das ist wahrscheinlich auf verschiedenen Ebenen zu verstehen, oder?
    TIZIANO: Mit Sicherheit. Dein tibetischer Lama hatte es bestimmt auf eine höhere Ebene gebracht. Ich nicht, eine höhere konnte ich nicht beanspruchen. Und daher fehlt mir jetzt auch nichts, das versichere ich dir.
    FOLCO: Dir fehlt nichts mehr?
    TIZIANO: Nein. Ich bin zufrieden. Ich bin am Ziel.
    FOLCO: Die Welt ruft nicht mehr? Und doch wirst du manchmal noch sauer, wenn ich dein Radio nicht genau an den richtigen Platz zurückstelle oder das Kätzchen nicht aufhört zu miauen.
    TIZIANO: Das sind alte Schwächen von Tiziano Terzani, der immer noch glaubt, man könne die Außenwelt verbessern. Doch reicht es, nur einen Augenblick lang objektiv zu sein, um zu merken, dass das nicht geht. Es geht nicht, Folco. Sieh dir doch die letzten hundert Jahre an! Dann sagst du dir, es ist an der Zeit, die Entdeckung zu nutzen, dass du weder dein Körper bist, noch deine Identität, noch deine Bücher, sondern ein Teil von etwas, dem all das gleichgültig ist. Das könnte dem Menschen eines Tages helfen, einen Weg zu finden.
    FOLCO: Ich frage mich, ob Erleuchtung nicht vielleicht heißt, die Welt sehen zu können, wie sie ist, und ihre Vollkommenheit zu erkennen.
    TIZIANO: Ja, sicher, richtig! Ich bin ganz deiner Meinung.
    Lange Pause.
    FOLCO: Du hast also nicht das Gefühl, etwas Unerledigtes zurückzulassen?
    Papa schüttelt den Kopf.
    TIZIANO: Dieses Gefühl mag vielleicht ein wenig … überheblich wirken. Aber mich interessiert einfach nichts mehr. Die Zeitungen lese ich zum Zeitvertreib oder um mich von den Schmerzen abzulenken, weißt du? Doch eigentlich habe ich sie vor dreißig Jahren schon gelesen. Dieselben Geschichten.
    FOLCO: Was du jetzt tust, ist also, dich zu lösen? Ist es das? Dich von allem zu entfernen?
    TIZIANO: Ja, fort! Dabei bin ich vielleicht fast ein wenig grausam, Folco. Überleg mal, du hast diesen wunderbaren Sohn. Er

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