Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
Bretter und bauten uns daraus zwei Tische und zwei Regale für meine Bücher. Dann holte ich meine Schreibmaschine Lettera 22 hervor und schrieb meine Examensarbeit.
FOLCO: Die du mit Bestnote abgeschlossen hast.
TIZIANO: Sogar cum laude ! Ich war unglaublich versiert darin, allen möglichen Quatsch zu schreiben. Aber das Diplom war keineswegs das Ende für mich, es war erst der Anfang. Jetzt musste ich einen Weg finden, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber ich wollte nicht arbeiten wie all die anderen, ich wollte etwas anderes machen, ich wollte weiter studieren. Also kauften wir einen dieser Riesenwälzer von der UNESCO mit einer Liste aller Universitäten der Welt, von Timbuktu bis Cambridge, und mit Hilfe deiner Mutter - was hat sie geschuftet! Denn ich sprach nur schlecht Englisch und schrieb es noch schlechter - schickte ich Dutzende von Briefen mit meinem Lebenslauf in die ganze Welt und bat um ein Stipendium. Nur eine einzige Uni hat geantwortet, die von Leeds, in Yorkshire. Meine Güte, wir waren im siebten Himmel! Wir würden ein Jahr lang Geld kriegen, und ich konnte meinen Master in Internationalem Recht machen!
Schon im Dezember fuhren wir los nach England. Für Nonno Anzio, den Vater deiner Mutter, war das ein Drama, denn er wollte unbedingt, dass wir vorher heirateten. Sogar der Hausarzt, ein Freund des Großvaters, trat an mich heran und meinte: „Das kannst du nicht machen, du machst sie todunglücklich.“Doch ich, der Revolutionär, wollte davon nichts wissen. Ehe! Institutionen! Ich schlug alle ihre Bitten in den Wind, und wir fuhren los.
In Leeds wohnten wir in einer völlig heruntergekommenen Gegend, in einem jener Reihenhäuser aus dunklem Backstein, die während der industriellen Revolution gebaut worden waren und alle gleich aussehen, zusammen mit einer Prostituierten, die im Erdgeschoss lebte und uns ihr Kind raufschickte, wenn sie Kunden hatte, und einem alten Matrosen, Sam, dem im Zweiten Weltkrieg am Polarmeer die Finger erfroren waren.
Unser Leben war ärmlich, aber voller Abenteuer. Doch nach drei, vier Monaten bekam Mama eine gefährliche Nierenentzündung. Ich spürte eine bleischwere Verantwortung auf mir lasten, und da ich so gut wie kein Geld hatte, fuhren wir mit eingezogenem Schwanz nach Italien zurück. Voller Triumph waren wir abgefahren, doch dann schloss ich das Jahr in Leeds nicht einmal ab. Die schlimmste Niederlage aber wäre für mich gewesen, deine Mutter nach Hause zurückzubringen, wo ihr Vater noch immer erwartete, dass wir heirateten. Ich versuchte, eine Arbeit beim Europarat zu bekommen, doch am Ende nahm ich einen Job bei Olivetti an.
Wir zogen zusammen, ich kümmerte mich um Mama, und sie wurde wieder gesund. Da erfuhr ich, dass sie als meine Frau mit krankenversichert wäre und mich auf meinen Dienstreisen begleiten könnte. Donnerwetter! Nach nicht mal einem Monat waren wir verheiratet! Es wurde sogar eine richtig schöne Hochzeit! Ich wollte mich auf keinen Fall von einem christdemokratischen Bürgermeister trauen lassen, und in Vinci hatten wir einen gefunden, der Kommunist war. Stell dir vor, er kam mit einer Trikolore als Schärpe herein, und da er wusste, dass Mamas Familie deutsch war, verhängte er mit der Fahne - das ist italienisches Taktgefühl! - eine Gedenktafel mit den Namen all der Partisanen, die in Vinci von den Nazis erschossen worden waren. Hinterher gingen wir mit unseren Eltern, ihrem Bruder und den beiden Trauzeugen essen, und dann ab nach Orsigna auf Hochzeitsreise!
Bei Olivetti musste ich zunächst Schreibmaschinen verkaufen. Stell dir vor, ein Akademiker, der als Vertreter von Haus zu Haus geht! Dann stieg ich zum Chef der Schreibmaschinenvertreter auf, und dann zum Ausbilder.
FOLCO: War es für dich mit deiner linken Kultur und Weltanschauung nicht hart, zu Olivetti zu gehen?
TIZIANO: Nein, das mag dich vielleicht wundern. Aber es ist tatsächlich so, dass viele aus meiner Generation, die ihr Diplom cum laude gemacht hatten, entweder bei der Kommunistischen Partei oder bei Olivetti landeten, denn beide gaben einem die Möglichkeit, sich sozial zu engagieren.
Olivetti, das war nicht einfach eine Fabrik, die Maschinen herstellte; es war eine Fabrik, die Maschinen herstellte, mit denen eine menschengerechte Gesellschaft aufgebaut werden sollte. Die größten italienischen Intellektuellen jener Zeit haben dort zeitweise gearbeitet, wobei es ihnen nicht auf den eher bescheidenen Lohn ankam, sondern auf das Bewusstsein, an
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