Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
einem großen Projekt mitzuwirken. Von meinen Freunden aus Pisa gingen vier oder fünf, ach was, sieben oder acht zu Olivetti, denn das war der einzige Betrieb, der nicht nach rein betriebswirtschaftlichen Kriterien arbeitete, sondern einen Teil des Profits aus dem Verkauf der Schreibmaschinen für den Umbau der Gesellschaft verwendete. Denn denke nicht, der Kommunismus sei nur das gewesen, was die Antikommunisten über die Experimente in China und Kambodscha erzählen, die ein so schlimmes Ende genommen haben. Der Kommunismus war auch ein großes Ideal, das Millionen von Menschen und zahlreiche Intellektuelle dazu gebracht hat, für eine materielle Verbesserung der Gesellschaft Opfer zu bringen.
Stell dir vor, bei Olivetti habe ich sogar eine Weile am Fließband gestanden. Ich, der Akademiker, zwischen all den Arbeitern! Die Idee war, an die Basis dieser verdammten Gesellschaft zu gehen, um sie zu verstehen und zu ihrer Veränderung beitragen zu können. Es gab innerhalb der Fabrik einen Verlag, Theater- und Tanzvorstellungen und vor allem die Bibliothek mit ihren kulturellen Abendveranstaltungen. Da haben Mama und ich zum Beispiel Pasolini kennengelernt, der nach Ivrea gekommen war, um mit den Arbeitern zu sprechen. Das war der Traum von Olivetti.
FOLCO: Und der Wunsch, eine neue Gesellschaft aufzubauen, woher kam der?
TIZIANO: Du brauchtest dich doch nur umzugucken! Das waren doch beschissene Zustände! Die gesellschaftlichen Konflikte waren in der Nachkriegszeit überdeutlich, weil sie ideologisch so stark aufgeladen waren. Manches war auch falsch daran, das ist mir heute klar.
FOLCO: Produzierte Olivetti damals nur Schreibmaschinen? TIZIANO: Und Rechner. Nach meiner Probezeit bekam ich die Aufgabe, brillante junge Leute für die Filialen im Ausland anzuwerben. Wir gingen ein paar Monate nach Dänemark, Portugal, Frankfurt und dann Holland, wo Olivetti eine Firma gekauft hatte. Schöne Bescherung! Da war ich auf einmal Personalchef und musste Leute zusammenscheißen und entlassen. Wir verbrachten ein paar furchtbare Abende, wo Mama sich, glaube ich, sogar eine Ohrfeige eingehandelt hat, als sie sagte: „Warum kündigst du nicht und wirst Journalist? Das war es doch, was du wolltest.“
„Ja, oder gleich Staatspräsident, was?“
Ich hatte mein Selbstvertrauen verloren.
FOLCO: Hattest du das Gefühl, Journalist zu werden sei ein unerfüllbarer Traum?
TIZIANO: Ja, unerfüllbar. Wie sollte ich da denn reinkommen? Ich kannte doch niemanden. Mama sagte immer wieder: „Los, probier’s einfach!“, sie spornte mich an, weil sie sah, wie unglücklich ich war. Aber das hätte geheißen, auf mein Gehalt zu verzichten und noch einmal ganz von vorn anzufangen. Wie sollte das denn gehen? Wie?
Dann bekam ich die Gelegenheit, nach Südafrika zu fahren. Eigentlich sollte es nur eine kurze Reise sein, um die Filialen in Kapstadt, Durban, Port Elizabeth und Wilderness zu besuchen, aber ich blieb viele Wochen dort. Da habe ich zum ersten Mal geschrieben, ich meine, da empfand ich mich als Journalist. Ich war jung, ich war ein Linker, ich war in Afrika, auf einem neuen Kontinent, da war mir Olivetti herzlich egal, wie du dir vielleicht denken kannst.
Kaum war ich in Johannesburg gelandet, mietete ich mir ein Auto und fuhr allein durch ganz Südafrika, die Garden Road hinauf bis nach Botswana und Lesotho. Was hab ich da für herrliche Sachen auf Kosten der Firma erlebt! Ich interessierte mich brennend für die Apartheid, und da wurde ich auch zum ersten Mal verhaftet. Eines Abends sagten mir ein paar Leute, die, wie mir heute klar ist, dem ANC Nelson Mandelas nahe standen, ich solle zu einem bestimmten Bahnhof gehen, wo Ströme von Schwarzen ankommen würden, die in den Goldminen arbeiteten, und ohne lange zu überlegen, tat ich das. Da stand ich, weiß, wie ich war, und fotografierte, und schon nach wenigen Minuten kamen vier Schränke von Polizisten und nahmen mich mit.
Der Witz ist, dass ich als Repräsentant von Olivetti, die verschiedene Fabriken in Südafrika besaß, am nächsten Tag einen Termin bei Ministerpräsident Verwoerd hatte. Herausfordernd, wie ich nun einmal werde, sobald ich es mit Behörden oder Würdenträgern zu tun habe, trete ich in sein Büro und sage: „Merkwürdiges Land! Gestern haben mich vier Polizisten einfach so geschnappt und ins Gefängnis geworfen.“
„Oh, da haben Sie aber Glück gehabt!“, erwidert er. „Als ich Innenminister war, konnte ich nie welche finden, wenn ich mal
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