Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
Köpfen, die auf der Straße liegen! Alles wiederholt sich, weißt du, und doch ist es stets, als habe die Geschichte gestern erst begonnen, als habe die Menschheit kein Gedächtnis.
Mao starb 1976. Während der Gedenkfeiern in der Bank of China in Hongkong, an denen außer mir nur ganz wenige Ausländer teilnahmen, lernte ich ein paar einflussreiche chinesische Kommunisten kennen, die mich mit einem wichtigen Mann des chinesischen Geheimdienstes in Hongkong bekannt machten. Zum Glück haben sie aber nie versucht, mich zu rekrutieren, und wir wurden schließlich sogar richtige Freunde.
Als es dann darum ging, die ersten Journalisten nach China einreisen zu lassen, gehörte ich dazu. Der SPIEGEL wusste das zu schätzen, denn uns wurde das erste Interview mit Maos Nachfolger, dem Präsidenten Hua Guofeng, gewährt, über den Mao gesagt haben soll: „Ni ban shi, wo fang xing“ -mit dir am Steuer kann ich beruhigt sein.
Im Gegensatz zu Mao war dieser Hua Guofeng aber ein kleines Würstchen. Als Rudolf Augstein, der Herausgeber des SPIEGEL, auf dem Weg zum Interview mit mir durch den Großen Volkspalast in Peking schritt, war er regelrecht nervös. Es war immerhin beinahe so, als würde er mit dem „Kaiser“von China sprechen! Doch Hua Guofeng war noch aufgeregter: Als ich vor ihm stand, um Fotos zu knipsen, fiel mir auf, wie er vor lauter Nervosität hektisch mit seinen Füßen in den weißen Socken und schwarzen Baumwollschuhen wippte.
Wie ich es geschafft habe, dieses Interview zu organisieren, weiß ich selbst nicht mehr so genau. Aber es war mal wieder ein Riesenglück, denn danach bekam der SPIEGEL die Erlaubnis, ein Büro in Peking zu eröffnen.
FOLCO: Das muss eine interessante Zeit gewesen sein.
TIZIANO: Alles war völlig neu, verstehst du? Seit 1949 waren keine Journalisten mehr in China gewesen.
Ich fuhr also nach Hongkong zurück, packte meinen Koffer und dann brachte Mama mich nach Lo Wu, an die Grenze zwischen Hongkong und China. Dort überquerte man zu Fuß eine Brücke, die nach China führte, und stieg in einen Zug mit diesen netten, jungen Schaffnerinnen, die noch gekleidet waren wie zu Maos Zeiten und an jedem Bahnhof, bevor die Passagiere einstiegen, die Türklinken putzten. Alles war ordentlich und perfekt durchorganisiert.
Eine Weile lebte ich allein in Peking. Dann kamt ihr nach.
FOLCO: Ja, nach China hast du uns alle mitgenommen. Nach den Annehmlichkeiten der kolonialen Welt war das eine echte Reise ins Ungewisse!
TIZIANO: Allein die Geschichte unserer ersten Wohnung in Peking! Voller Begeisterung war ich nach China gekommen, alles war - wow! Doch von Anfang an begegneten wir auch dem anderen Aspekt. Dir wird eine Wohnung zugewiesen, du ziehst ein - und stellst auf einmal fest, dass du nicht allein Fahrstuhl fahren kannst: Immer fährt eine Frau mit, die Bericht erstatten muss, in welcher Etage du aussteigst, bei wem du warst und so weiter. Dann merkst du, dass dein Koch ein Spitzel ist, dass dein Chauffeur ein Spitzel ist, dass der Koch wiederum den Chauffeur bespitzelt -zum Verrücktwerden!
Der Höhepunkt war, als wir während des Umzugs eine dieser Deckenlampen abnehmen wollten, die so ein ungemütliches Licht verbreiten. Als ich im Wohnzimmer das Kabel durchschnitt, um es zu verlegen, tauchten sofort die Verantwortlichen des Wohnungsamts auf und machten mir einen regelrechten Prozess! „Wie kannst du dir erlauben, einfach das Kabel durchzuschneiden? Diese Wohnung ist chinesisches Volkseigentum!“
Am Ende kam heraus, dass in der Lampe das Mikrofon versteckt war, mit dem all unsere Gespräche abgehört wurden! Eine schöne Geschichte, was? Da fragst du dich natürlich: Wohin bin ich nur geraten?
Wir waren seit Jahrzehnten die erste Gruppe von Journalisten, die die Erlaubnis bekamen, China zu bereisen, doch wie nach dem Krieg in Vietnam hatte ich auch hier das Gefühl, an der Nase herumgeführt zu werden - nur dass es in China noch viel ausgeprägter war. Mir wurde klar, dass vieles extra für uns inszeniert wurde.
Kennst du den Ausdruck „Potemkinsches Dorf“?
FOLCO: Nein.
TIZIANO: So hießen in der Sowjetunion Dörfer, die eigens dazu da waren, sozialistisch gesinnte Besucher aus Europa oder Amerika zu beeindrucken. Es waren „Attrappen“, in denen Theater gespielt wurde, mit Leuten, die den Part der Bauern übernahmen und die Partei in den höchsten Tönen lobten, mit blitzblanken Fabriken und adretten Arbeitern, die in ordentlichen Kantinen aßen, und so weiter. Diese
Weitere Kostenlose Bücher