Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
gleiche eiserne Reisschale und die gleiche Jacke gibst und selbst wenn viele an dein Projekt glauben und mitmachen - immer wird es welche geben, die zwei Jacken und zwei Reisschalen haben wollen und zudem die Freiheit beanspruchen zu tun, was ihnen gefällt. Doch das passt in den Kommunismus nicht hinein, und dieser Widerspruch führt zu Gewalt, denn die Anhänger des Systems unterdrücken die, die es unterlaufen, und so endet das ganze Projekt schließlich im Blut. Das ist der Grund für die Massaker Pol Pots, für die sowjetischen Gulags und die chinesischen Arbeitslager. FOLCO: Willst du damit sagen, die wenigen, die den Menschen ändern wollten, waren alle …
TIZIANO: … Mörder. Schreckliche Mörder. Der Wunsch aller Revolutionäre, einen neuen Menschen zu schaffen, ist an sich frevelhaft. Lenin, Stalin, Trotzki, Mao - alle haben diesen Traum gehabt. Aber der Mensch ist, wie er ist, er ist das Ergebnis einer Evolution, und genau wie das Wasser in einem Fluss kannst du auch die Evolution nicht aufhalten.
FOLCO: Nach Maos Tod, also genau in den Jahren, als wir in China waren, wurde Maos Politik aufgegeben und durch die Deng Xiaopings ersetzt. Aber auch das interessierte dich wohl nicht mehr? TIZIANO: Weil das Projekt gescheitert war, verstehst du? Weil es keine Ideale mehr gab. Als Deng sagte: „Reichtum ist Ruhm“, musstest du doch denken: Was? Fünfzig Jahre Geschichte und Tote für nichts und wieder nichts? Reichtum soll ruhmvoll sein? Fünfzig Jahre lang habt ihr dem chinesischen Volk eingehämmert, es solle mit einer Schale Reis auskommen und einem Paar Hosen und einem Paar Schuhe, habt ihm, statt Überstunden zu bezahlen, moralischen Ansporn und rote Schärpen gegeben, und dann kommt plötzlich einer und sagt: „Alle müssen sich bereichern“?!
Siehst du, was aus ihnen geworden ist? Banditen!
Er lacht.
Sie versuchen, China zu einem zweiten Taiwan zu machen, zu einer scheußlichen Imitation von Hongkong, wo sich alles nur ums Geld dreht, wie überall sonst. Und wo ist die neue, alternative Gesellschaft geblieben? Sollen sie sich doch zum Teufel scheren!
Hier steckt das Dilemma deines Vaters, das, was ihn schließlich in den Himalaja getrieben hat. Überleg mal, was die große kommunistische Revolution in China seit 1921 gekostet hat, der Krieg gegen die japanische Besatzung, der Krieg gegen die von den Amerikanern unterstützten Nationalisten. Überleg mal, wie viel Leid das bedeutet hat, wie viele Tote! Millionen!
Und wozu das alles?
Wozu all diese Revolutionen? Diese unglaublichen Opfer, die viele aus ehrlicher Überzeugung gebracht haben? Hätte die Gegenseite gewonnen, hätte China viel weniger Leid erlebt - und wäre trotzdem so geworden wie heute, nur vielleicht etwas eher.
Dasselbe gilt für Vietnam, wenn statt der Kommunisten Thieu gewonnen hätte. Sieh dir doch an, wie das Leben unter den vietnamesischen Kommunisten heute aussieht! Saigon ist eine Stadt mit allen negativen Aspekten des Westens: den Bordellen, dem Egoismus, dem Unterschied zwischen Arm und Reich, der Ausbeutung. Und dafür haben wir die Revolution gemacht? Dafür sind all diese Menschen gestorben, die sich den Gürtel zweimal um die Taille schlangen, weil sie nicht mehr zu essen hatten als eine Handvoll Reis pro Tag? Und wenn die bolschewistische Revolution gescheitert wäre, durch ein Eingreifen Europas oder weil die Truppen des Zaren den Revolutionären standgehalten hätten, dann hätte Russland sich unter dem Einfluss Europas langsam modernisiert, nicht? Dann hätte die Gegenseite gewonnen, und wahrscheinlich ginge es dem Land heute besser.
Von mir aus kannst du auch noch den Che dazuzählen, mit seinem Widerstand gegen Castro … All diese Revolutionen haben Unmengen von Menschenleben gefordert, haben Unmengen von Leid und Folter mit sich gebracht. Und was ist das Ergebnis? Es ist überall dasselbe.
FOLCO: Aber die Revolutionen haben auch Könige, Zaren und korrupte Diktaturen entmachtet. Ohne sie hätte die Geschichte sich anders entwickelt. Es hätte auch schlimmer kommen können, denn normalerweise geht es ja solange bergab, bis die Menschen sich dagegen auflehnen.
TIZIANO: Natürlich haben die Revolutionen auch einen anderen Aspekt. Selbst wenn sich das Ergebnis mit dem Sieg der Gegenseite nicht groß geändert hätte, war die vietnamesische Revolution mehr als gerechtfertigt! Auf Dauer konnten die Vietnamesen die koloniale Besatzung nicht akzeptieren, sie mussten ihr Land wiedervereinigen. Die Schrecken,
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