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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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zu erklimmen! Manchmal musste ich stundenlang warten, bis sie kam. So begannen wir uns kennenzulernen.
    FOLCO: Kannst du noch, Papa?
    TIZIANO: Ja. Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass ich mich schon bald nicht nur zu Mama hingezogen fühlte, sondern auch zu ihrer ganzen Welt. Ich hatte das Gefühl, dorthin zu gehören! Obwohl ich aus Monticelli kam. Gut, ich ging auf die höhere Schule, aber trotzdem … Und sie führte mich in ihr Haus und ihre Familie ein. Für mich war das wunderbar, Folco, einfach wunderbar. An das Haus erinnerst du dich sicher, du bist dort ja auch einund ausgegangen, aber sieh es mal mit den Augen eines Jungen aus Monticelli! Das große Musikzimmer, in dem dein Großvater Anzio am Flügel saß, die Sessel, die verschlissenen Teppiche, die unzähligen alten Bücher, die Bilder, die schönen Lampen mit den gelben Schirmen. Und zum Abendbrot gab es die kleinen Spinatomeletts deiner Großmutter Renate! Diese Familie strahlte etwas aus, was mich in ihren Bann schlug und was ich mein Leben lang bewundert habe: die Würde der Armut. Diese Leute besaßen Würde, weil sie wussten, wer sie waren. Ganz im Gegenteil zu uns.
    FOLCO: Du sagtest, Mamas Zuhause sei eine andere Welt gewesen. Wie sah diese Welt aus?
    Papa lacht.
    TIZIANO: Schon das Haus selbst besaß eine Geschichte. Eine Nichte Machiavellis hatte es geschenkt bekommen, als sie einen Strozzi heiratete. Alles war verschlissen und abgenutzt; den ganzen Spießerkram der Wohnungen, in denen alles spiegeln und glänzen muss, gab es nicht. Mamas Familie war genau so, wie ich mir zu sein wünschte. Sie hatten kein Geld, und es war ihnen auch egal, aber sie waren stolz auf etwas, was man mit Geld nicht kaufen kann: ihre Kultur.
    Dein Großvater Anzio - das kommt von Hans-Jo -, also Mamas Vater, war ein wunderbarer Mensch. Er war Maler, ein richtiger Mann, verdammt noch mal! Da fühlte ich mich zu Hause. Irgendwie hatte ich das Gefühl, endlich angekommen zu sein, sowohl das Haus als auch die Familie gaben mir dieses Gefühl, sogar die Patiencen-Großmutter, die von einem großen französischen Architekten abstammte.
    Da öffneten sich mir die Pforten der Welt. Großvater Anzio stammte aus einer deutschen Familie von Akademikern und Entdeckern, Großmutter Renate aus einer hanseatischen Patrizierfamilie. Ihr Großvater war Bürgermeister von Hamburg gewesen, ihr Vater Dichter und Sozialist. Dadurch geriet ich in ein völlig neues Milieu mit einer ganz anderen Atmosphäre.
    Großvater Anzio war unglaublich vielseitig und durch und durch Künstler. Alles andere interessierte ihn im Grunde nicht. Wenn er abends aus dem Atelier kam, wo er den ganzen Tag gemalt hatte, setzte er sich in dem schummerigen Zimmer an den Flügel, den Einstein ihm geschenkt hatte, und spielte. Dort habe ich auch gelernt, nie Deckenlampen in der Mitte des Zimmers anzubringen, sondern im Raum verschiedene kleine Lampen zu verteilen, die ihm Wärme verleihen - was mir in Peking dann solche Scherereien eingebracht hat.
    Was ich dieser Familie nicht alles verdanke! So viel, dass meine Eltern schließlich ganz eifersüchtig wurden und sagten: „Der gehört nicht mehr zu uns, der gehört jetzt zu denen!“
    Und da ist etwas dran, Folco. Schon als kleiner Junge hatte ich das Gefühl, dass ich nicht nach Monticelli gehörte, dass das nicht meine Welt war. Bei allem Respekt für meine Eltern und für alles, was sie für mich getan haben - meine Familie war das nicht. Viel später erfuhr ich von der Idee der Wiedergeburt und dachte, dass ich vielleicht in der falschen Familie gelandet war. Als ich gerade im Bardo war, einer Art tibetischen Fegefeuers, wurde meine Mutter schwanger und - schwupp! - war ich da. Aber wirkliche Gemeinsamkeiten gab es zwischen uns nicht, nicht einmal körperlicher Art. Alle meine Verwandten waren klein, ich hingegen war groß, schmal und dünn. Manchmal gibt es solche Fremdkörper in einer Familie. Womit ich nicht sagen will, dass ich keine Beziehung zu meinen Eltern gehabt hätte. Du weißt selbst, dass ich sie mein Leben lang geliebt habe und bemüht war, ein guter Sohn zu sein. Aber innerlich verbunden fühlte ich mich ihnen nicht. Mein Vater besaß durchaus schöne Seiten, aber mit meiner Mutter hatte ich überhaupt nichts gemein, nichts. Wie kann ich da behaupten, das sei meine Familie gewesen?
    FOLCO: Den Staudes fühltest du dich näher?
    TIZIANO: Viel näher. Auch mit deiner Großmutter Renate verstand ich mich wunderbar. Ich mochte ihre Zähigkeit. Sie war

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