Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
unerschütterlich, geradlinig, stark, unnachgiebig. Eine andere Generation. Stell dir vor, bei einem Spaziergang rutschte sie einmal aus und alle sagten: „Du musst das sofort desinfizieren, Renate!“Aber sie meinte nur: „Ist nicht so schlimm.“Als wir nach Hause kamen, stellten wir fest, dass sie sich das ganze Bein aufgerissen hatte, ohne einen Ton zu sagen. Wo findet man so etwas heute noch?
Ja, das war wirklich eine wunderbare Familie, Folco. Irgendwie … hing das alles zusammen. Es war …
Seine Stimme wird so leise, dass er kaum noch zu hören ist.
FOLCO: Was war es?
TIZIANO: Ein frischer Wind! Sie hatten etwas, was ich suchte. Schon lange. Was ich an deiner Mutter liebte, hatte auch etwas mit ihrer ganzen Umgebung zu tun. Sie war in etwas eingebettet, was heute noch in ihrem Charakter sichtbar wird, nicht? Dieses Durchhaltevermögen, dieser Fleiß …
Wir wurden also Freunde und bald auch ein Liebespaar, und da gibt es natürlich herrliche Geschichten, die man aber nicht weitererzählen kann, Folco, herrliche … Wir liebten uns das erste Mal an meinem zwanzigsten Geburtstag. Das war ihr Geburtstagsgeschenk! Weißt du, Dinge wie Jungfräulichkeit waren damals …
Er lacht.
Es war großartig. Mit dem Bus - aber das darfst du nicht weitererzählen, versprochen? - fuhren wir nach Settignano, wo es einen großen Wald gab. Mama trug ein wunderschönes Kleid …
Papa erzählt seine Geschichte in leuchtenden Farben. Am Ende macht er eine kleine Pause.
Ich wusste einfach, dass sie die richtige Frau für mich war, da gab es nicht den geringsten Zweifel.
FOLCO: Und welche Rolle hat Freundschaft für dich gespielt?
TIZIANO: Weißt du, vor allem in der Zeit großer Kameradschaft in Indochina und auch später in China war ich immer einer der geselligsten und umgänglichsten. Und doch war ich wohl in gewisser Hinsicht auch ziemlich distanziert. Einen echten Freund, einen Vertrauten, der mir eine wirkliche Zuflucht hätte sein können, habe ich im Grunde nie gehabt. Ich hatte gute Weggefährten. Doch nun hat sich die Lage geändert, und auf dieser letzten Reise bin ich allein. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich dieses Bedürfnis nach einem wahren Freund nie gehabt. Gewiss, meine Männerfreundschaften waren etwas Schönes, aber in Wirklichkeit kam ich auch ohne aus.
FOLCO: Vielleicht weil du immer Mama gehabt hast.
TIZIANO: Das stimmt. Etwas Wahreres konntest du nicht sagen! Sie war alles für mich. Sie war die Gewissheit, um die alles kreiste, die Gewissheit, frei und gleichzeitig geborgen zu sein. Sie war das, was der große bengalische Dichter, den ich so gerne zitiere, mit einem außerordentlich treffenden Bild beschrieben hat: der Pflock, an den der Elefant sich mit einem seidenen Faden binden lässt. Mit einer winzigen Bewegung könnte er ihn zerreißen und weglaufen, doch er tut es nicht. Er hat sich dafür entschieden, mit dem seidenen Faden an den Pflock gebunden zu sein. Und auch ich habe mich mit achtzehn Jahren als blutjunger Mann dazu entschieden. Und diese Wahl war der ganz große Fixpunkt meines Lebens.
Nie sind mir Zweifel daran gekommen, denk nur, nie! Klar, wenn du einen knackigen Hintern vorbeikommen siehst, schaust du ihm hinterher und verschwendest einen Haufen Zeit mit diesem ganzen Quatsch. Meine Güte, was ist die Lust für eine Bürde! Wie viel Zeit ich damit verschwendet habe, dieses wilde Tier im Zaum zu halten! Und die Schuldgefühle! Bis ich irgendwann gesagt habe: Schluss, aus! Aber sie war das Pariser Urmeter. Und wenn du von so etwas ausgehen kannst, weißt du … das ist ein unermesslicher Schatz!
FOLCO: Also warst du im Grunde nie allein.
TIZIANO: Nein. Mama war für mich eine wunderbare Reisegefährtin - Freundin, Beraterin, Partnerin. Du kannst dir nicht vorstellen, Folco, wie viele Stunden, Tage, ja Monate, wenn du alles zusammenzählst, wir damit verbracht haben, vor dem Einschlafen im Bett zu reden; über euch Kinder, über alle möglichen Probleme, über die Welt und das Leben. Und dann die endlosen Frühstücke auf der Terrasse, um unseren Tagesplan zu entwerfen. Nicht in der Art: „Also, du gehst heute zum Frisör, ich kaufe Fleisch...“und so weiter, nein; sondern einen Plan, wie wir, zwei und im Grunde doch eins, mit unserer Zeit umgehen wollten. Das haben wir immer getan. Das war eine Art Meditation.
Es war herrlich - nie haben wir in Eile gelebt. Klar, es gab auch Tage, an denen ich meine Artikel zu Ende bringen musste, aber für unseren Tagesplan
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