Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
dadurch aus einer vollkommen anderen Perspektive wahrgenommen, verstehst du? Der Journalist, der kurzfristig ins Land katapultiert wird, weil es einen Staatsstreich gegeben hat, wohnt zwei Tage in einem Hotel mit Klimaanlage, spricht mit dem Pressechef und dem Taxifahrer, schreibt seinen Artikel und fährt wieder ab. Ich aber verfolgte mittlerweile ein ganz anderes Ziel.
Denk nur mal an Vietnam. Das hatte ich während der Revolution und der Konterrevolution erlebt, hatte die Bösen miterlebt, die Kommunisten, die sich verhielten wie Nazis, und so weiter und so fort. Jetzt aber erzählte ich von einem anderen Vietnam. Was siehst du nicht alles, wenn du im Zug von Hanoi nach Saigon und wieder zurück fährst! Die Kinder, die den Reisenden an den Bahnhöfen Wasser verkaufen, damit sie sich waschen können, oder durch den Zug gehen, um ihre gerösteten Fische an den Mann zu bringen. Und dann sitzt du zwischen Vietnamesen, Laoten, Kambodschanern. Ich lebte noch einmal la vie au ras du sol , das Leben auf einfachster Ebene, und genoss es zutiefst.
Der SPIEGEL ließ mich gewähren, und ich schrieb auf dieser Reise einige der schönsten Artikel der letzten Jahre, denn nun hatte ich etwas anderes zu erzählen. Doch tief im Innern hatte ich mit dem Journalismus bereits abgeschlossen. Es war Zeit aufzuhören, ich riskierte, mich nur noch zu wiederholen.
Den Schluss meines Reisejahres verbrachte ich wieder in Thailand und tat dabei einen großen Schritt auf das zu, was mein zweites Leben werden sollte: Ich nahm an einem Meditationskurs mit John Coleman teil.
Und dabei öffnete sich mir eine Tür auf eine vollkommen neue Welt.
Zum ersten Mal in meinem Leben beschäftigte ich mich mit etwas ganz anderem. Stell dir vor, jahrelang hatte ich in Asien gelebt und Buddhafiguren gekauft, ohne mich je zu fragen, was der mit seinen halbgeschlossenen Augen und den Händen im Schoß eigentlich tat. Ich hatte mich das nie gefragt! Nun tat ich es - und beschloss, es selbst auszuprobieren.
Eine Woche lang nahmen wir unser vegetarisches Essen zu uns, ohne dabei ein einziges Wort zu sagen, denn im Aschram herrschte die Regel „Schweigen ist Gold“. Keiner macht Konversation. Keiner sagt: „Ach, Sie sind Journalist? Woher kommen Sie denn? Ich war auch mal in Japan. Haben Sie da Sushi gegessen? Mögen Sie rohen Fisch?“Nichts dergleichen. Für mich war das eine Entdeckung!
John Coleman, Ex-CIA-Agent und der Erste, der versuchte, mich das Meditieren zu lehren, scherte sich nicht darum, dass ich der Journalist Tiziano Terzani war. Für ihn war ich einer von vielen Hintern, die auf Kissen saßen. Ich sollte einen gewissen Zustand erreichen, und dass es mir nicht gelang, lag daran, dass ich in meinen vorhergehenden Leben, in den letzten drei- oder vierhundert Jahren immer nur Blödsinn im Kopf gehabt und mich nie auf meinen Nabel konzentriert hatte.
Das war eine Riesenerleichterung, verstehst du? Es entlastete mich, es nahm mir die Verantwortung.
Ich habe es im Meditieren nicht besonders weit gebracht. Ich kann eine halbe oder auch ganze Stunde still sitzen, den Plan für den Tag erstellen, ein bisschen Stille um mich her verbreiten, den Geist zur Ruhe bringen. Aber ein Meditationsexperte bin ich nie geworden.
Ich habe lange über die Fragen nachgedacht, die du mir zur Meditation gestellt hast. Ich glaube … Meditation ist vor allem etwas Unbewusstes. Es hat nicht viel Sinn, sich hinzusetzen und zu sagen: „Jetzt meditiere ich!“, denn Coleman sagte immer: „Wie viele Hühner habe ich stundenlang auf ihren Eiern hocken sehen, doch keines war danach erleuchtet.“Worum es geht, ist nicht, dort zu sitzen, sondern unbewusst, auf einen inneren Drang hin in einen Zustand einzutreten, in dem du spürst, dass die Dinge nicht so sind, wie sie aussehen, dass es eine andere Ebene gibt. Und das tröstet dich, das richtet dich auf, darauf kannst du immer wieder zurückgreifen.
Nur durch Konzentration, indem du alles Äußere draußen lässt, die Geräusche, das Vogelgezwitscher, Leidenschaften und Enttäuschungen … wenn du das alles draußen lässt, draußen, draußen … bleibt schließlich nur noch diese Leere , wenn du so willst, und die bist du. Nicht dein Folco-Du, sondern jenes Du, das Teil eines großen Ganzen ist … nicht einmal der Menschheit. Des Kosmos!
Und wenn du die Dinge allmählich so betrachtest, dann beginnen sie sich zu wandeln.
LIEBE UND FREUNDSCHAFT
FOLCO: Ich wollte dich etwas ganz Einfaches fragen: Wie hast du Mama
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