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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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KVT für das Leben gelernt habe, und vieles von dem, was mir in der Entzugsklinik beigebracht wurde, nicht nutzen, bis Baclofen mein Craving unterdrückte und die zugrunde liegende Angst beherrschbar machte. Bei Suchtkranken ist es die Regel und nicht die Ausnahme, dass der Betroffene verzweifelt versucht, so lange wie möglich an einem Programm festzuhalten, und dann doch wieder rückfällig wird, weil das Craving ihn überwältigt. Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand und auch allen neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu sagen, all diesen Menschen fehle es an Willen, Charakterstärke und/oder spiritueller Kraft.
    Bis eine randomisierte klinische Studie zu dosisabhängigem Baclofen begonnen wird, bitte ich alle Ärzte, die Suchtpatienten behandeln, Baclofen off-label all den Patienten zu verordnen, die trotz anderer Therapieversuche krank bleiben und für deren zerstörerische und oft tödliche Krankheit es keine alternative Behandlungsmöglichkeit gibt. Die im Anhang abgedruckten wissenschaftlichen Aufsätze bieten Ärzten und Patienten gleichermaßen einen Ansatzpunktzur Diskussion über Baclofen und für die Entscheidung, ob es im jeweiligen Fall die richtige Therapie ist. Wie Dr. Markus Heilig, der klinische Direktor des National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism am NIH, mir schrieb: »Es ist sicherlich nichts falsch daran, wenn Ärzte [Baclofen] off-label verschreiben.« 15
    Im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung und zum Nutzen all jener, die an einer Abhängigkeit leiden, rufe ich die Gesundheitsbehörden und Verantwortlichen des Staates, Politiker, Nichtregierungsorganisationen im Gesundheitswesen und alle Bürger außerdem auf, sich dafür einzusetzen, dass umfangreiche randomisierte klinische Studien mit hoch dosiertem Baclofen unternommen werden. Es gibt ein Modell aus jüngster Zeit, wie ein solches Engagement aussehen kann, und das ist die Entwicklung des sogenannten Aids-Cocktails aus mehreren antiviralen Wirkstoffen, der die Morbidität und Mortalität im Zusammenhang mit Aids dramatisch gesenkt hat. Wenn Suchtpatienten, deren Angehörige und medizinische Betreuer sich mit dem gleichen Einsatz dafür starkmachen, dürfte es wohl in weniger als einer Generation gelingen, die randomisierten Versuche auf den Weg zu bringen, die erforderlich sind, um die Sicherheit und Wirksamkeit von Baclofen und den Wert der Unterdrückung des Craving als Behandlungsmodell für stoffgebundene und nicht stoffgebundene Suchterkrankungen endgültig unter Beweis zu stellen.
    An einem sonnigen Tag, kurz bevor ich das Manuskript zu diesem Buch abgeben sollte, besuchte ich die Gräber meiner Eltern auf dem Friedhof Montparnasse. Ich gehe ab und zu dorthin. Nach jüdischer Tradition lege ich auf den Gräbern Steine ab, die ich bei einem Spaziergang im Park oder am Meer oder in den Bergen gesammelt habe. Und ich führe am Grab stille Zwiesprache mit meinen Eltern, teile ihnen mit, dass es mir endlich gut geht und dass der Alkohol nicht länger Teil meines Lebens ist. Ich erzähle ihnen auch von anderen Menschen, die dank Baclofen gesund geworden sind.
    In solchen Augenblicken bedaure ich, dass sie tot sind, ichvermisse sie und fühle mich ihnen nahe, Gefühle, die sich nicht im Widerstreit, sondern in Harmonie miteinander befinden. Denn ich bedaure nichts. So vieles habe ich durch den Alkohol zerstört: Da ist der herzzerreißende Kummer, den ich meiner Familie zugefügt habe, besonders meiner Mutter in den letzten Jahren, der Bruch mit meinen Geschwistern Jean-Claude und Eva, die Implosion meines Lebens, der Kollaps meiner Karriere als Kardiologe. Aber kein menschliches Leben ist ohne Leid, und wir müssen alle unser Möglichstes tun, um daraus zu lernen.
    Aber statt das zu bedauern, bin ich dankbar: dankbar für meine liebevollen Eltern und ihr leuchtendes Beispiel; für alles, was ich über mich und andere erfahren habe, einschließlich der unschätzbaren Lebensweisheiten der AA; für all die Arten, wie ich herausgefordert wurde, zu wachsen und mich zu ändern; für die Freunde, die mir in meiner Krankheit beistanden und mir aus der Verzweiflung heraushalfen; für die Freuden von Musik und Lachen und die Schönheit und Harmonie der Natur, die mich in dunklen Stunden aufrecht erhielten; für Baclofen und für all das Gute, das das Ende meiner Sucht mit sich brachte, vor allem meine Aussöhnung mit Jean-Claude und Eva und die neue Stabilität in meinem Leben. Last not least danke ich für die Chance,

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