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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
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wollte andererseits nicht preisgeben, dass Geld ein Problem war. Doch dann entschied ich, dass ich gegenüber einem Leidensgefährten keine Scham empfinden musste, und fragte: »Ist das teuer?«
    Er nannte einen Preis, der weniger als ein Drittel dessen betrug, was Clear Spring gekostet hatte, und ich begriff, dass ich mir einen Versuch in der Suchtklinik High Watch Farm leisten konnte. Der Leiter der Evaluation des Alkoholprogramms von St. Luke’s-Roosevelt, John Bellamy Taylor, kannte die High Watch Farm auch und empfahl sie mir sehr. Ich beschloss, nach der Entgiftung im Krankenhaus dorthin zu gehen.
    Anders als Clear Spring mit seiner schillernden Patientenklientel aus Schönen und Reichen nahm High Watch Farm hauptsächlich Leute aus der Mittelschicht und Arbeiter auf, darunter viele Medicaid-Patienten, und zu meiner Zeit auch zwei ehemalige Häftlinge, die von ihrer Heroinsucht wegzukommen versuchten. Und wie in jeder anderen Entzugsklinik, die ich kennenlernte, mit Ausnahme von Clear Spring, gab es in High Watch Farm keine Einzelzimmer. Ich teilte mir ein Zimmer mit einem jungen Schwarzen namens Charles, der wegen Kokainabhängigkeit behandelt wurde.
    Am Anfang wusste ich nicht, was ich von ihm halten sollte, aber wie sich herausstellte, war er ein großartiger Typ. Er stammte aus einem Armenviertel in New Haven, und seine Mutter und seine Kirche bedeuteten ihm sehr viel. Wir führten abends viele gute Gespräche.
    Im Allgemeinen war die Stimmung in High Watch Farm so freundlich und friedlich, wie Andrew gesagt hatte, und ich fühlte mich dort sehr viel mehr zu Hause als in Clear Spring. In der Kapelle von High Watch Farm hörte ich zum ersten Mal den Song »Amazing Grace«, und die Worte der Hoffnung, mehr noch die heitere, eingängige Melodie rührten mich zu Tränen. Sie klang in meinem Kopf nach, wenn ich spazieren ging und zusah, wie ein Frühlingsschneeschauer die Bäume einhüllte.
    Die Routineabläufe waren in High Watch Farm ziemlich die gleichen wie in Clear Spring. Es gab AA-Meetings, Kurse über Bewältigungsstrategien wie einen Drink abzulehnen, ohne in Verlegenheit zu geraten, Vorträge und Therapiesitzungen. Der Hauptunterschied – außer dass sie keine Reichen und Berühmten und keineEinzelzimmer hatten – bestand darin, dass wir alle täglich kleine Arbeiten erledigten. Mich störte das überhaupt nicht. Es war ein Vergnügen, einfache, notwendige Dinge mit anderen Patienten zusammen zu tun.
    Wie häufig bei Suchtpatienten zu beobachten, verspürte ich in der Klinik kein Verlangen nach Alkohol, dank der ruhigen, straff durchorganisierten Routine ohne Auslöser für emotionalen Stress und ohne Anlässe zu trinken. Nach und nach fühlte ich mich besser, aber das Gefühl war noch unbeständig, und deshalb verlängerte ich meinen Aufenthalt zweimal auf insgesamt dreieinhalb Wochen, bis der Frühling richtig kam und die ersten Blumen blühten.
    Am 9. April rief mich einer meiner besten Freunde an, Maurice Blin, der Präsident der französisch-amerikanischen Handelskammer in New York. »Glückwunsch, Olivier«, begrüßte er mich am Telefon. »Ich habe den Figaro vor mir mit der Liste derjenigen, die zu Ostern in die Ehrenlegion aufgenommen werden. Du bist auch dabei!«
    »Du machst Spaß«, sagte ich. Dass Präsident Jacques Chirac ein Dekret unterschrieben haben sollte, das mich zum Ritter der Ehrenlegion machte, schien mir absurd. Wenn er mich sehen würde, dachte ich.
    Der Gedanke beschäftigte mich noch lange, nachdem ich High Watch Farm verlassen hatte, und verstärkte sich noch einmal, als ich erfuhr, dass Präsident Chirac mir das Kreuz der Ehrenlegion aus seiner persönlichen Reserve verlieh.
    Zuerst erzählte ich niemandem in High Watch davon. Dann weihte ich eine Person unter dem Siegel der Verschwiegenheit ein, aber natürlich machte die Neuigkeit bei den anderen Patienten und den Beschäftigten rasch die Runde. Ihre Glückwünsche wärmten mir das Herz, bedrückten mich aber auch, weil ich fand, ich hätte den Orden nicht verdient. Das Ganze war irgendwie verrückt.
    Ein paar Tage nach Maurices Anruf holte mich Joan ab und brachte mich zurück nach New York. Ich war überwältigt von Gefühlen, positiven und negativen. Die Mitarbeiter von High Watch Farmentließen mich mit den Worten, ich müsste der Bürgermeister der Einrichtung werden, weil ich so viele Freundschaften geschlossen und in der Gruppentherapie so vielen Leuten hilfreiche Einsichten vermittelt hatte. Sie seien sicher,

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