Das Ende meiner Sucht
ich sie gerade eben ertragen konnte. Am nächsten Tag erhielt ich wieder Tylenol mit Codein, aber ich blieb bei der Minimaldosis, die mir einigermaßen Erleichterung verschaffte.
Die Schwester berichtete mir, sie habe den Oberarzt gezwungen, die sechs Tabletten zu verschreiben mit der Drohung, sie würde ihn wegen Grausamkeit anzeigen. Das war ein tapferer Akt des Mitgefühls. Sie erzählte, ihr Vater sei an Alkoholismus gestorben und oft von Ärzten rüde behandelt worden, die wussten, dass man einen Alkoholiker, sollte er sich beklagen, sowieso nicht ernst nehmen würde. Sie erzählte weiter, der Oberarzt sei ärgerlich auf mich, den alkoholabhängigen Arzt, und habe meine Bitte um Schmerzmittel als Zeichen von Schwäche abgetan.
Was den Hämatopneumothorax betrifft, so wurden zwei Versuche unternommen, das Blut durch eine Punktion zu beseitigen. Das Verfahren ist ein bisschen riskant, weil durch die Punktionsnadel womöglich weitere Luft eindringt und den Pneumothorax verstärkt. Beim ersten Mal erreichten sie nichts, 24 Stunden später, nach mehreren Röntgenaufnahmen zur Überprüfung, ob der Pneumothorax schlimmer geworden war, gewannen sie bei der Punktion ein wenig Blut. Da der Pneumothorax meine Atmung nicht behinderte, wurde entschieden, nichts weiter zu unternehmen und abzuwarten, dass die Verletzung meiner Pleura von allein heilte.
Das Krankenhaus besaß eine exzellente Abteilung für die Behandlung von Alkoholismus. Ich bekam einen Termin bei einer Ärztin dort, Dr. S., und sie willigte ein, mich als Patienten zu nehmen. Sie sorgte auch dafür, dass bei mir eine Computertomografie (CT) vorgenommen wurde, um mögliche weitere innere Verletzungen auszuschließen, und auf meine Bitte hin wurde auch ein Sonogramm durchgeführt, um den Zustand meiner Leber zu kontrollieren; eine Leberzirrhose wäre das Todesurteil gewesen. Ich hatte schreckliche Angst vor dem Befund, hatte aber zuvor noch nie um ein Sonogramm gebeten, weil ich es nicht so genau wissen wollte.
In den Vereinigten Staaten werden Sonogramme in der Regel von Medizintechnikern vorgenommen, in Frankreich von Ärzten. Während der Untersuchung fragte ich die Ärztin, ob sie Zeichen für eine Zirrhose erkenne. Obwohl sie eigentlich nur dem Arzt den Befundmitteilen sollte, der die Untersuchung angeordnet hatte, und nicht dem Patienten, sagte sie mir von Kollegin zu Kollege, sie sehe zwar eine Fettleber, aber keine Zirrhose. Ich war sehr erleichtert.
Dass mich eine neue Alkoholspezialistin als Patienten akzeptierte und ich damit eine weitere Rettungsleine hatte, beruhigte mich etwas. Aber innerhalb von 15 Monaten hatte ich mir Handgelenk, Schulter, Nase und drei Rippen gebrochen mit zumindest potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis ich mir die Wirbelsäule oder den Hals brechen und zum Paraplegiker oder Quadriplegiker werden würde. Wer würde mir dann Alkohol geben, wenn ich das Verlangen nicht mehr aushielt, oder würde mir helfen, diese Welt zu verlassen und meine Sucht auf diese Weise zu beenden?
Erst im November dieses Jahres erinnerte ich mich dunkel wieder an den Artikel aus der New York Times, den Joan mir zwölf Monate zuvor geschickt hatte. Ich rief Joan an und bat sie, den Bericht ausfindig zu machen und mir noch einmal zu schicken, was sie tat.
Diesmal war ich nicht benebelt, als er kam, und ich las fasziniert, was die Psychologin Dr. Anna Rose Childress, die sich an der University of Pennsylvania mit Suchterkrankungen befasste, bei ihren Untersuchungen mittels Positronenemissionstomografie (PET) herausgefunden hatte: Bei einem kokainabhängigen Patienten, dem gegen Krämpfe das Muskelrelaxans Baclofen verabreicht wurde, zeigte sich eine deutliche Dämpfung der Gehirnaktivität. Der Patient berichtete, sein Verlangen nach der Droge habe stark nachgelassen. Ich wollte mir keine falschen Hoffnungen machen, aber ich stellte mir die Frage: Konnte Baclofen mir helfen, mit dem Trinken aufzuhören?
6. GEGEN MEDIZINISCHEN RAT ODER: DAS LEBEN DANACH
Drei Dinge ermutigten mich, als ich den Artikel in der New York Times über die Wirkungen von Baclofen bei einem abhängigen Patienten erneut las – mit klarem Kopf, zwischen zwei Alkoholabstürzen.
Erstens dämpfte Baclofen im Versuch das Craving bei dem Patienten, einem kokainabhängigen Paraplegiker, und zwar nicht nur das Verlangen nach Kokain, sondern auch nach Alkohol und Nikotin.
Zweitens veränderte das Baclofen die
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