Das Ende meiner Sucht
durchgeführt.« 1
In den nächsten Tagen schwirrte mir der Kopf vor Aufregung wegen des Baclofen – und vor Angst. Was, wenn das nur eine weitere Sackgasse bei meiner Suche nach einer Behandlung war? Zwei Fragen verfolgten mich: War Baclofen in Frankreich erhältlich? Und war es sicher? Ich wollte Childress anrufen und ihr die Fragen stellen, fürchtete aber, nicht ernst genommen zu werden, wenn ich wegen mir selbst fragte.
Die Aufregung wegen all dieser Fragen und Befürchtungen schlug in Angst um, und an einem Abend trank ich ziemlich viel. Am nächsten Morgen nahm ich all meinen Mut zusammen und rief Childress an, durch den Zeitunterschied zwischen Paris und Philadelphia zueinem Zeitpunkt, als ich noch verkatert war. Ich stellte mich als Kardiologe vor, der einen alkoholabhängigen Patienten hatte, sagte, ich sei auf den vor einem Jahr in der New York Times erschienenen Artikel gestoßen, und fragte: »Ist es sinnvoll, Baclofen bei Alkoholabhängigkeit einzusetzen?«
Childress antwortete: »Ich glaube, es gibt da einen Forscher in Rom, Dolo-irgendwas, ich bin mir bei dem Namen nicht ganz sicher, der Baclofen bei Alkoholismus untersucht.«
Ich fragte, welche Dosis sie bei ihrer Studie verwendete: Hatte sie schon erwogen, eine höhere Dosis auszuprobieren, um zu sehen, ob es einen stärkeren Effekt auf das Craving hatte? Sie erwiderte, das sei sicher ein Thema für weitere Forschungen, aber sie wisse derzeit noch nicht genug über Baclofen, um über die mutmaßlichen Wirkungen einer höheren Dosis spekulieren zu können. Sie könne nur sagen, dass Edward Coleman bei einer Einnahme von 60 bis 80 Milligramm pro Tag gegen seine Muskelspastiken über keinerlei unangenehme Nebenwirkungen berichtet habe.
Das Gespräch war sehr ermutigend, und Professor Childress schlug mir freundlicherweise vor, in Kontakt zu bleiben. Aber auf meine zwei drängendsten Fragen hatte ich noch keine Antwort erhalten: War Baclofen in Frankreich erhältlich, und war es sicher?
Ich fragte meinen Spezialisten für die Behandlung des Alkoholismus und den Psychiater, zu dem ich wegen der kognitiven Verhaltenstherapie ging, nach Baclofen. Sie wussten nichts und hatten kein Interesse, über ein nicht erprobtes Medikament zu diskutieren.
Ich stand eindeutig allein da mit dem Problem, wie ich mehr über das Medikament herausfinden konnte. Als Dozent am Cornell University Medical College und als Arzt am New York Hospital hatte ich einem Forscherteam und der Community forschender Ärzte angehört, aber nun lebte ich Tausende Kilometer weit weg und hatte keinen Kontakt mehr zu den dortigen Institutionen und Kollegen.
Eine Sucht isoliert den Betroffenen, und ich fühlte mich sowieso sehr allein auf der Welt. Es war zur Gewohnheit geworden, dass ichJean-Claude und Eva jeden Sonntag zum Mittagessen mit meiner Mutter traf, und da verstanden wir uns so gut, dass ich dachte, der Bruch zwischen uns sei geheilt. Nach dem Tod unserer Mutter ging ich einige Wochen lang weiter jeden Sonntag in das chinesische Restaurant, in dem wir uns immer verabredet hatten, doch meine Geschwister erschienen nicht mehr. Ich war schockiert und verletzt. Es war mir unmöglich, sie anzurufen. Ich dachte, sie hätten genug von mir, und war zugleich überzeugt, sie hätten ein Recht dazu – fand es aber auch unfair von ihnen, sich einfach abzuwenden. Die wahren Hintergründe erfuhr ich erst, nachdem es mir wieder gut ging: Sie waren frustriert und wussten nicht, wie sie mir helfen konnten, vor allem nachdem sie von Ärzten hörten: »Lasst Olivier in Ruhe. Er muss erst ganz unten ankommen. Er hat noch nicht genug verloren, um mit dem Trinken aufzuhören.«
Bei den AA erzählte man mir oft Ähnliches. Aber was hatte ich noch zu verlieren? Wenn es nur möglich wäre, durch Willensstärke, ein 12-Schritte-Programm, Klinikaufenthalt, kognitive Verhaltenstherapie und die üblichen Medikamente mit dem Trinken aufzuhören. Für mich wie für die meisten Alkoholiker war es nicht möglich, und die Vorstellung, ich müsse noch mehr verlieren, bis ich der Realität ins Auge schauen und mich zusammenreißen könnte, war ein grausamer Witz.
Ich erwog, mit Philippe Coumel über Baclofen zu sprechen. Philippe war mir in dieser Zeit ein großartiger Freund, er lud mich oft zum Mittagessen ein und führte mit mir lange, kluge Gespräche über alle möglichen Themen, einschließlich meiner Krankheit. Aber ich hatte ihm schon zu oft ganz aufgeregt von neuen Hoffnungen auf eine Behandlung von
Weitere Kostenlose Bücher