Das Erbe der Apothekerin - Roman
indes machte sich eher Sorgen um Betz, der ihr gegenüber in letzter Zeit ein geradezu abweisendes Benehmen zeigte – ganz entgegen seines sonst so freundlichen und aufgeschlossenen Wesens. Der junge Bursche hatte freilich eine Beobachtung gemacht, die ihm überhaupt nicht schmeckte: Seine angebetete Lena hatte freundliche Blicke mit einem jungen Herrn gewechselt, der, wie es Betz schien, immer öfter in der Klosterapotheke auftauchte, um
Arzneien für sein Gesinde zu erstehen, von dem offenbar immer irgendjemand krank war …
Er würde diesen Kerl in Zukunft im Auge behalten, sollte dieser sich weiterhin in Magdalenas Nähe aufhalten, nahm Betz sich vor. Und wehe, er taugte nichts! Für »seine Herrin« war nur der Beste gerade gut genug. Eigentlich war er ja selbst in sie verliebt, war aber so einsichtig, sich keinerlei falschen Hoffnungen hinzugeben.
»Erstens bin ich zu jung für sie«, dachte er trübsinnig. »Sie ist mit neunzehn Jahren eine junge Frau, und ich bin in ihren Augen gewiss nur ein unreifer Bub. Des Weiteren stammt sie aus einem gutbürgerlichen, angesehenen und wohlhabenden Haus, während meine Familie arm ist und immer arm und bedeutungslos bleiben wird.«
Nein, für Magdalena kam Betz als Ehemann leider nicht in Frage. Aber aufpassen, dass sie nicht an den Falschen geriete, das konnte er allerdings. Und dieser geschniegelte Lackaffe war ihm alles andere als geheuer.
Magdalena selbst wäre nie darauf gekommen, dass der junge Mann, der neuerdings so oft in der Apotheke auftauchte, Betzens Eifersucht erregte. Zwar war ihr aufgefallen, dass der Stammkunde offenbar ein Auge auf sie geworfen hatte, doch es interessierte sie nicht. Sie war längst noch nicht wieder so weit, dass sie einem Mann ihr Vertrauen geschenkt hätte.
Wie gewohnt ging sie Tag für Tag ihrer verantwortungsvollen Arbeit nach, sammelte unter Mithilfe von Mariechen Heilkräuter in den Wäldern und auf den Wiesen der Umgebung – und vermied im Übrigen unliebsame Erinnerungen und Gedanken. Das Leben »allein« war indes leichter zu bewerkstelligen, als sie befürchtet hatte.
»Ich werde wohl als alte Jungfer sterben«, ging es ihr bisweilen abends vor dem Einschlafen durch den Kopf. Allmählich verlor dieser Gedanke für sie seinen Schrecken.
Es war schließlich besser, allein zu bleiben, als den Erstbesten zu nehmen, der womöglich gar nicht zu ihr passte und ihr nur neues Leid zufügen würde.
Ein Stück weit hatte sie mit ihrer Vergangenheit sogar schon Frieden geschlossen. Nur hin und wieder ergriff sie noch die blanke Wut, sobald sie an den Betrug ihres Vormunds dachte. Sie glaubte auch nicht mehr daran, dass Julius es schaffen könnte, ihr zu ihrem Recht zu verhelfen. Nicht, dass er es nicht wollte, aber er war mit anderen Dingen beschäftigt, und mittlerweile war zu viel Zeit verflossen. Möglicherweise war ihr Anspruch sogar schon verjährt.
Als sie den Menschen während der Seuche geholfen und wohl so manchen vor Schlimmerem bewahrt hatte, war erneut der Groll in ihr hochgestiegen: Mit Fug und Recht sollte sie in ihrer eigenen Apotheke stehen und für ihre eigenen Kunden sorgen. Die Anspannung und die Sorge um die Kranken wichen im Nachhinein dem Zorn über die Ungerechtigkeit des Lebens, der tagelang ihr Gemüt verdüsterte. Doch inzwischen hatte sie auch diesen überwunden und schien mehr und mehr einen gewissen inneren Gleichmut zu erreichen. Ihre Arbeit und das, was sie bei ihren gelegentlichen Besuchen in den Elendsvierteln sah, taten ein Übriges dazu, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass sie trotz allem noch Glück gehabt hatte.
Etwas ganz anderes bereitete ihr allerdings zunehmend Kopfzerbrechen: Nach dem Ende der Seuche war ihr, der »Rose von Konstanz«, allenthalben große Verehrung entgegengebracht worden, beinahe jedermann sang ihr Lob. Seit
einigen Tagen war aber eine merkliche Veränderung im Verhalten der Leute eingetreten. Es kam ihr beinahe so vor, als würde man sie meiden. Männer und Frauen, die sie als Patienten kannte, schlugen auf offener Straße die Augen nieder, um sie nicht grüßen zu müssen. Andere sahen ihr dreist ins Gesicht und beantworteten entweder ihren Gruß nicht oder erwiderten ihn betont kühl.
Magdalena fragte sich, ob sie ihren Einbildungen erlag und möglicherweise in letzter Zeit ein wenig zu viel gearbeitet hatte. Tatsächlich wollte ihr kein Grund einfallen, der einen derartigen Stimmungswandel ihrer Patienten gerechtfertigt hätte.
KAPITEL
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