Das Erbe der Apothekerin - Roman
einen schwer therapierbaren Fall haben. Die Apothekerin willigte natürlich ein – auch wenn sie sich insgeheim ein wenig ärgerte, wie rechtelos sie als Frau doch war, und dass man ihrem Onkel, dem Kurpfuscher Mauritz Scheitlin, nicht längst den Prozess machte, obwohl er durch sein Unwissen bereits Patienten geschädigt hatte.
Das erste Mal seit längerer Zeit musste Magdalena wieder an Gertrude denken, von der sie so viel gelernt hatte, nicht zuletzt, dass man auch ohne einen Mann an seiner Seite zurechtkam. Sie war sich sicher, dass die starke und tatkräftige Frau wie immer alle Hände voll zu tun hatte. Und so war es in der Tat: Während in Konstanz und andernorts die Bürger sich längst von der merkwürdigen Seuche erholt hatten, kam das öffentliche Leben in Ravensburg nur sehr langsam wieder in Schwung. Hier hatte die Krankheit einen schwereren Verlauf genommen als sonst irgendwo. Auch die üblichen Mittel hatten nicht gut gewirkt.
Einige Stadtväter hatten beinahe ihr Leben gelassen; Jodok Finsterwald, der Schultheiß der Stadt, hatte vor Schwäche
lange im Bett gelegen, er begann erst allmählich, wieder zu Kräften zu kommen. Dabei half ihm dieses Mal nicht der vor Jahren vom Rat bestellte und bezahlte Stadtmedicus, Doktor Wendelin Butzbach: Der Arzt lag selbst halbtot darnieder.
Dass die meisten erkrankten Ravensburger überhaupt mit dem Leben davonkamen, hatten sie allein Gertrude zu verdanken. Einer Frau, die sie seit Jahrzehnten mit Misstrauen beäugt und weitgehend aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen hatten. Längst als ausgezeichnete Wehmutter bekannt, machte sie sich während der höchst ansteckenden Krankheit sogar den Männern unentbehrlich. Beinahe Tag und Nacht sah man die imposante Gestalt der weißhaarigen alten Dame durch die Stadt wandeln, begleitet von einem Diener, der ihr die schwere Arzneitasche hinterhertrug.
Von Mauritz Scheitlin, Magdalenas Onkel, hatten seitdem fast alle Bürger Ravensburgs eine denkbar schlechte Meinung: War der Mann, der sich das Amt des Stadtapothekers anmaßte, doch seit Ausbruch der Seuche nicht mehr gesehen worden …
Aber beileibe nicht, weil er selbst bettlägerig geworden wäre. Feige und ängstlich verkroch er sich im Haus seines verstorbenen Bruders und überließ seinem jungen »Gehilfen«, Wendelin Traugott, genannt »Wenz«, die Bereitstellung, Zubereitung, Portionierung und Auslieferung der von Gertrude georderten Heilpflanzen: Eibisch, Bärlauch, Kamille, Süßholz, Blutwurz, Heidelbeere, Anis, Wermut und Eichenrinde, um nur die wichtigsten zu nennen.
Den älteren Patienten verabreichte Gertrude zur Stärkung des Herzens zusätzlich Weißdornpräparate, Misteltropfen sowie Arnika und Herzgespann. Gegen die Seuche selbst wandte sie ein mittlerweile etwas in Vergessenheit geratenes Mittel an:
Eine Amethystdruse wurde dabei zehn Vaterunser lang über einen Topf mit kochendem Wasser gehängt. Dann tauchte sie den Edelstein ins sprudelnde Wasser, das anschließend, abgekühlt, von dem Kranken getrunken werden musste. Das sollte gegen den schlimmen Durchfall helfen.
Allein ihrer sowie des jungen Apothekers Umsicht war es zuzuschreiben, dass insgesamt nur ein Dutzend ihrer Behandelten starben; darunter zwei ohnehin schwächliche Kleinkinder und drei uralte Frauen von über achtzig Jahren, sowie ein Mann, der zwar erst vierzig Lenze zählte, aber in der Stadt als haltloser Säufer bekannt war. Sein Herz hatte die Strapazen nicht mehr verkraftet.
Die Bürger der Stadt betrachteten »die Baronin« auf einmal mit ganz anderen Augen. Nur ein paar Missgünstige – die das Glück gehabt hatten, von dem Übel verschont zu bleiben – versuchten, ihren Ruf zu untergraben, indem sie Gerüchte von »Hexerei« und »Zaubertränken« verbreiteten.
Jeden Einzelnen machte der Ortsvorsteher Finsterwald – noch von seinem Krankenbett aus – energisch mundtot. Schützenhilfe erhielt er dabei vom hochwürdigen Simon Auersberg, dem angesehenen Pfarrherrn der Stadt:
»Wer sich noch einmal untersteht, der ehrsamen, frommen Witwe, der edlen Baronin von Reuchlin, Böswilliges zu unterstellen, der kriegt es mit mir zu tun«, drohte der Geistliche und schob gleich die schockierende Ankündigung hinterher, er »werde persönlich jeden Einzelnen, der den Ruf der Dame zu schädigen trachte, von den heiligen Sakramenten ausschließen«.
Das zeigte Wirkung, und das dumme Geschwätz verstummte im Nu. Gertrude wurde auf einmal auf der Straße von Leuten gegrüßt, die
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