Das Erbe der Apothekerin - Roman
eine gewisse Ordnung in seinen leicht verschlampten Junggesellenhaushalt einzog.
Dagegen reagierte Betz ungewöhnlich ängstlich. Der junge Bursche hegte ernsthafte Befürchtungen, wie nahe sich »seine« Lena und das »herausgeputzte Herrchen« inzwischen wohl gekommen sein mochten. Magdalena ahnte die Seelenqualen ihres Schützlings, und in einer ruhigen Minute zog sie ihn auf die Seite und sprach ganz offen mit ihm.
»Betz, mein Lieber, falls Ihr etwa geglaubt haben solltet, zwischen Albrecht von Meinrad und mir bahne sich etwas an, habt Ihr Euch getäuscht. Wir sind Verwandte – und sonst gar nichts. Und das wird auch so bleiben.«
Falls die junge Apothekerin noch Zweifel über Betzens Gemütszustand gehabt haben sollte, waren diese endgültig beseitigt, als sie nach dem Geständnis seinen Gesichtsausdruck sah. Noch immer war er ihr treu ergeben und ertrug den Gedanken nicht, sie an einen anderen zu verlieren – auch wenn klar war, dass er als Partner selbstverständlich nie in Betracht käme …
Der Mainzer Kurfürst – immer noch ein treuer Anhänger des entmachteten Johannes XXIII. – versuchte etliche Male, wenn auch vergeblich, den Gefangenen zu befreien. Magdalena machte sich indes ihre ganz eigenen Gedanken über die unnachgiebige Haltung der Gegner dieses Papstes.
»Ich habe den Verdacht«, ließ sie ihren Verwandten Julius wissen, »man verflucht die Person Johannes’ XXIII. stellvertretend für sämtliche Verfehlungen der Kirche seit Jahrhunderten. Man lässt ihn als willkommenes Opfer büßen für alle Versäumnisse, Irrwege und Verbrechen, die sich seit langer
Zeit in der Kurie und der Kirche ganz allgemein zugetragen haben. Wobei ich keineswegs vergesse, dass Signor Baldassare selbst ein Gutteil dazu beigetragen hat, dass viele Gläubige in aller Welt den Respekt vor der Kirche verloren haben. Ohne Zweifel hat Johannes versagt.«
Trotzdem fand Magdalena die Tatsache traurig, dass der ehemalige Papst von allen im Stich gelassen wurde. Im Gefolge des Gestürzten, der höhnisch nur noch als »der feiste Welsche« bezeichnet wurde, hatte es einst weder an Leibdienern noch an Sekretären, Köchen, Hofnarren und Anhängern aller Art gefehlt.
Jeder von ihnen suchte sich sogleich eine neue Anstellung bei einem anderen hohen Herrn. Von einem Beispiel dieses Opportunismus konnte Magdalena sich bald darauf persönlich überzeugen.
Bald nach ihrer Rückkehr wurde sie ins Haus eines italienischen Prälaten, eines berühmten Konzilsherrn, gerufen, da dieser sich den Magen verdorben und bei den Franziskanern ausdrücklich nach Jungfer Magdalena gefragt hatte. Als sie mit ihrem mittlerweile stadtbekannten, mit Arzneien gefüllten Weidenkorb bei dem hochgestellten Patienten eintraf, begegnete ihr im Hausflur Don Severino, Cossas ehemaliger Sekretär.
Nachdem die junge Frau nur einige wenige Worte mit dem hochmütigen Italiener gewechselt hatte, wusste sie, dass dieser nicht gewillt war, an seinem ehemaligen Herrn auch nur ein einziges gutes Haar zu lassen.
Angewidert setzte sie ihren Weg ins Schlafgemach des erkrankten Kardinals fort. Dass Johannes’ ehemalige Vertraute, die nicht schlecht bei ihm gelebt hatten, ihn jetzt nachträglich mit Schmutz bewarfen, hatte ihr bereits Vetter Julius berichtet.
» Vae victis !«, pflegte er dazu zu sagen, »wehe den Besiegten«. Eine Wahrheit über die mangelnde Moral der Menschen, die nicht nur bei den alten Römern galt.
»Was wohl aus seinem eitlen Leibdiener Massimo geworden ist?«, überlegte die junge Frau. Vermutlich hatte auch er längst einen neuen Herrn gefunden, den er nun mit schlüpfrigen Details aus Cossas bizarrem Lebenslauf erheiterte.
Während Magdalena mit viel Energie ihren arbeitsreichen Alltag bewältigte und sich ein täglich größer werdendes Wissen in der Apotheke erwarb, neigte sich auch dieses Jahr langsam seinem Ende zu. Gelegentlich dachte sie in letzter Zeit wieder über Männer und das Heiraten nach. Es war, als habe der anziehende und forsche Albrecht von Meinrad sie wieder daran erinnert, dass sie eine Frau war – eine Frau mit gewissen Bedürfnissen. In ihrem Alter drohte sie fast schon Gefahr zu laufen, als alte Jungfer zu enden, die Mädchen heirateten normalerweise wesentlich früher.
Dabei lebte sie ja keineswegs vergraben zu Hause in der Küche oder in der Nähstube, sondern stand sozusagen mitten im Leben. Tagtäglich hatte sie mit vielen Menschen zu tun, in der Hauptsache sogar mit Männern. Aber die meisten
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