Das Erbe der Apothekerin - Roman
auf uns zu! Machen wir, dass wir von hier verschwinden.«
Gesagt, getan. Die beiden kehrten um, um der in ihre Richtung strömenden Menschenmenge auszuweichen. Kaum waren sie in eine abzweigende Gasse abgebogen, erging es ihnen allerdings genauso: Auch dieser Weg war von unzähligen Menschen blockiert. Hauptsächlich waren es Männer, aber es befanden sich auch einige Frauen darunter.
»Hierher, Frau Lena!«
Betz fasste nach Magdalenas Hand und zerrte sie in einen schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern, der üblicherweise der Entsorgung von allerlei Unrat diente. Beide rümpften unwillkürlich die Nase, aber in der Eile gab es kein anderes Versteck. Vorsichtig lugten sie hinaus auf das Geschehen in der Gasse.
»Herrje! Diese Leute werden ja von kaiserlichen Soldaten verfolgt! Was können die wohl verbrochen haben?«
Magdalena wurde beinahe übel bei dem Gedanken, selbst zu einer Gejagten zu werden. Das Ganze wirkte mehr als bedrohlich. »Lasst uns in Ruhe abwarten, Bernhard, ja?«, bat sie kleinlaut. Dass sie in etwas Weiches getreten war, von dem sie gar nicht wissen wollte, worum es sich dabei handelte, versuchte sie zu ignorieren.
Der junge Bursche, dem selbst alles andere als wohl zumute war, stimmte sofort zu. »Freilich, Frau Lena! Wir haben ja Zeit. Hier sieht uns wenigstens keiner; hier bleiben wir, bis sich alles wieder beruhigt hat und wir unbehelligt heimgehen können.«
Später, in der Sicherheit des Wohnhauses, konnte Julius Zängle den Sachverhalt aufklären.
»Das waren Menschen, denen die Verhältnisse in unserer
Stadt nicht mehr gefallen. Sie versammelten sich zum Protest auf dem Münsterplatz, um sich bei den Konzilsherren über sich häufende Übergriffe durch Fremde zu beschweren. Von den Wachen verjagt, bewegte sich der Menschenstrom, der immer mehr anwuchs, in Richtung des Wohnsitzes von Kaiser Sigismund und anderer hoher Würdenträger. Da erging der kaiserliche Befehl, die Störenfriede einzufangen und in Haft zu nehmen. Im Kerker können sie sich jetzt überlegen, ob ihr Tun angemessen war.«
»Diese weitere Ungerechtigkeit wird nicht gerade zu Sigismunds ohnehin geringer Beliebtheit beitragen.« Betz unterstrich seine geringschätzige Bemerkung mit einem abfälligen Achselzucken.
Magdalena bedachte ihren Vetter mit einem prüfenden Seitenblick. Es war ihr bekannt, dass der Notar es nicht besonders schätzte, wenn am Kaiser so deutlich Kritik geübt wurde. Zu ihrem Erstaunen nickte Doktor Zängle nun jedoch bedächtig und sorgenvoll.
»Ich bin auch der Meinung, dass die Bürger mit ihrem Protest im Recht sind. Viele sind außerdem über Sigismund verärgert, weil er nur an sein Vergnügen denkt und überall Schulden hinterlässt. Unser Herrscher ignoriert einfach die schlichte Tatsache, dass für erbrachte Leistungen auch das entsprechende Entgelt fällig ist. Schneider, Sattler, Pferdehändler, Küfer, Weinstubenbesitzer, Gastwirte, Bootsbauer, Stellmacher, Schmiede, Schuhmacher und Plattner leben schließlich alle von ihrer Hände Arbeit. Ich kann froh sein, dass ich von der Stadt Konstanz den Lohn für meine Dienste erhalte – und nicht die Ehre habe, umsonst für Sigismund tätig sein zu dürfen.«
Das entlockte Magdalena ein Lächeln. »Das wäre in der Tat schlecht für dich, Vetter, weil du doch so sehr mit den
Angelegenheiten des Konzils beschäftigt bist, dass dir gar keine Zeit für Klienten mehr bleibt. Wovon solltest du also leben?«
»Wie wahr, Base Lena. Mein nächster Prozess, den ich nach Beendigung des Konzils führen werde, wird vermutlich der gegen deinen Vormund sein. Wenn es nur schon so weit wäre!«
Julius Zängle seufzte. Natürlich liebte er seine Tätigkeit für das Konzil – hatte sie ihn bisher doch nicht nur viel Anstrengung und Ärger gekostet, sondern ihm auch eine Menge an Anerkennung und Ehre eingetragen. Dennoch hoffte er jetzt auf ein baldiges Ende des Konzils. Wie es allerdings aussah, würde das für die nächste Zeit ein frommer Wunsch bleiben.
Kurz darauf konnte Sigismund wieder einmal seinen Jähzorn nicht bezähmen, und es drohte eine weitere Eskalation: Vollkommen unüberlegt drohte er den Kardinälen, sie allesamt verhaften zu lassen – eine in höchstem Maße unkluge Äußerung, die umgehend dem Vorwurf Nahrung gab, der Kaiser beabsichtige, die Verhandlungen zu stören und in seinem Sinne zu beeinflussen. Es erhob sich ein Riesengeschrei unter den empörten Kirchenfürsten.
Sigismund, zu der Einsicht gedrängt, wieder
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