Das Erbe der Apothekerin - Roman
noch so manch bange Stunde, ehe ein Bote aus dem Kloster ihnen endlich Bescheid gab und sie sich beruhigt zur Ruhe begeben konnten.
Magdalena blieb insgesamt eine ganze Woche auf dem Gutshof; rund um die Uhr versorgte sie die beiden Geistlichen, die sich überraschend schnell erholten. Da die Herren viel Zeit mit Schlafen verbrachten, hatte sie auch seit langem wieder einmal eine Menge Muße um nachzudenken.
Sie überdachte ihr bisheriges und – soweit vorhersehbar – auch ihr zukünftiges Leben. So wie es sich jetzt darstellte, würde sie ihr Lebtag lang für sich selbst sorgen müssen. Als wohlbehütete und gut situierte Bürgerstochter war ihr das wahrlich nicht an der Wiege gesungen worden. All ihre Jugendfreundinnen waren durch wohlhabende Ehemänner gut abgesichert und brauchten sich keine Gedanken darüber zu machen, wo das Geld für Unterkunft, Essen und Kleidung herkam.
Vor kurzem hatte sie bei Julius darauf gedrungen, ihm wenigstens
eine kleine Entschädigung für den Unterhalt bezahlen zu dürfen.
»Ich komme mir sonst vor wie ein Parasit«, hatte sie dem Notar klarzumachen versucht. Er verstand es zwar nicht, gab aber am Ende nach und erlaubte ihr, ihm jeden Monat eine kleine Summe zu überreichen. Fast verspürte Magdalena dabei einen gewissen Triumph: Was sie früher wohl nie in Betracht gezogen hatte, war zur Realität geworden: Wie ein Mann verdiente sie ihr eigenes Geld und beglich ihre Rechnungen selbst.
Angst vor dem, was noch auf sie zukommen mochte, hatte sie keine mehr; das war nur im ersten halben Jahr nach ihrem großen Unglück so gewesen und dann wieder, als Frater Malachias gegen sie intrigiert hatte. Lediglich ein immerwährendes Gefühl der Wut auf Mauritz Scheitlin, dem sie all dies verdankte, kroch immer wieder in ihr hoch, so oft sie daran dachte. Ob sich das je ändern würde?
Als der spanische Geistliche im Schlaf laut aufseufzte, schreckte sie hoch. Aber er drehte sich zur Seite und schlief ruhig weiter.
Um das verlorene Blut zu ersetzen, hatte sie ihren Patienten den Verzehr von roher Kalbsleber verordnet – eine Speise, die beide aus tiefster Seele verabscheuten, aber brav und mit Todesverachtung hinunterwürgten, um nicht den Unwillen ihrer »Medica« zu erregen.
Die Kopfwunde des Spaniers, die Magdalena anfangs Kummer bereitete, heilte ebenfalls gut, ebenso die zahlreichen anderen Blessuren. Allerdings waren die hohen Herren für ihr Leben gezeichnet: Die Narben der Schnitt- und Platzwunden in ihren Gesichtern würden wohl mit den Jahren verblassen, aber immer sichtbar bleiben.
Was nicht nur die Apothekerin erstaunte, war, dass die vorher
so grimmigen Kontrahenten sich auf einmal glänzend vertrugen. Ja, als man dem Domherrn anbot, in ein eigenes Zimmer umzuziehen, protestierten alle beide: Sie zogen es vor, friedlich in einem Bett zu liegen.
Das war an sich nichts Ungewöhnliches, viele Edelleute hielten es bei guten Freunden so, dass sie des Nachts beieinanderlagen. Die Betten waren in aller Regel breit genug. Wurde jemand von einem Höherrangigen eingeladen, mit ihm die Schlafstatt zu teilen, galt dies als große Auszeichnung.
Aber dass ausgerechnet diese zwei rabiaten Kampfhähne einträchtig nebeneinander liegen wollten, verwunderte Magdalena, die ihr Erstaunen nicht verbarg, doch sehr.
Auch Ser Ernesto konnte sich auf die plötzlich ausbrechende Sympathie seines Herrn zu dem Spanier keinen rechten Reim machen.
»Womöglich glauben die Herren, auf diese Weise eventuellen abträglichen Gerüchten das Wasser abgraben zu können. Wer sie so friedfertig nebeneinander schnarchen sieht, wird kaum vermuten, dass sie sich noch vor kurzem am liebsten gegenseitig umgebracht hätten«, vermutete er schließlich und wandte sich mit einem Achselzucken wichtigeren Themen zu.
KAPITEL 46
»DIE SUCHE NACH der charismatischen Persönlichkeit, geeignet, das festgefahrene Schiff des Konzils wieder flottzumachen, scheint beendet!«
Frohen Herzens konnte Julius Zängle diese Freudenbotschaft
in seinem Haus verkünden. Das Heil schien in diesem Falle aus der Stadt Ulm zu kommen, wo sich der Bischof von Winchester aufhielt, Henry Beaufort. Er befand sich im Augenblick auf einer Pilgerreise ins Heilige Land und legte in der schwäbischen Stadt eine kurze Pause ein.
Er war beileibe kein gewöhnlicher englischer Pilgrim, sondern Angehöriger eines vornehmen alten Adelsgeschlechts. Bischof Henry war der uneheliche Sohn John of Gaunts, des Onkels des englischen Königs,
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