Das Erbe der Apothekerin - Roman
Äußeren des Hauses, zu dem die verschleierte Dame sie führte. Nicht allzu weit vom Münster entfernt und in Nachbarschaft zu anderen vornehmen Gebäuden lag es behäbig da im spätherbstlichen Sonnenschein. Die in lebhaftem Ocker gehaltenen Mauern wurden durch die in sattem Braun gestrichenen Fensterläden, Fensterbänke und Türen ergänzt.
Das ansehnliche Bauwerk verfügte über viele Fenster mit grünen, in Blei gefassten Butzenscheiben, über einen reich verzierten Erker mit einem spitzen Türmchen, sowie einen Balkon über dem breiten Eingangsportal, das man über eine Treppe von acht Stufen erreichte.
Die Apothekerin wusste, wer in diesem Haus wohnte, und gegen ihren Willen bekam sie einen Anflug von Herzklopfen. Der Herr dieses Anwesens gehörte immerhin zu den reichsten Patriziern ganz Oberschwabens.
»Bei der Behandlung seines einzigen und sehr verwöhnten
Töchterchens darf mir ja nicht der allerkleinste Fehler unterlaufen, sonst kann ich in Konstanz mein Bündel schnüren«, dachte sie beklommen. Betont beherzt folgte sie ihrer Führerin.
Bald darauf stand sie im Schlafzimmer der Tochter des Hauses. Ein wenig blass schien ihr das Fräulein zu sein – wahrscheinlich handelte es sich nur um Menstruationsbeschwerden, wie viele junge Mädchen sie plagten. Die resolute ehemalige Amme des Fräuleins legte endlich den dichten Schleier ab und präsentierte dabei ein derbes Gesicht mit zahlreichen Furchen. Als sie Magdalena das heikle Anliegen endlich eröffnete, war die im ersten Augenblick sprachlos.
Um Zeit zu gewinnen, besah sie sich die jugendliche Patientin genauer. Wie ein sanfter Engel wirkte das kindliche Geschöpf – aber so engelhaft rein konnte es wohl kaum gewesen sein …
»Ich bin froh, dass Ihr nicht das Ansinnen an mich richtet, die Leibesfrucht der jungen Dame abzutöten. Das hätte ich glatt verweigert – selbst, wenn es erst vor ein oder zwei Monaten geschehen wäre. Ich bin keine Hebamme und verstehe mich auf derlei Behandlungen nicht«, fand Magdalena schließlich ihre Sprache wieder.
»Aber auch das, was Ihr von mir verlangt, bringt mich nicht wenig in Verlegenheit. Ich habe das noch nie gemacht. Und obwohl ich weiß, wie man es bewerkstelligen kann, habe ich keine Ahnung, wie es um die genaue Dosierung bestellt ist. Es kann gut sein, dass ich mich irre und die ganze Prozedur vergebens ist. Infolgedessen stellt Euch lieber gleich darauf ein, dass die Kur möglicherweise wiederholt werden muss.«
»Ihr macht es also?«
Das zarte junge Mädchen, lieblich anzusehen mit seinen blonden, seidigen Locken und einem züchtigen Nachtgewand
mit Spitzenkragen, blickte zu Magdalena aus großen, blauen Unschuldsaugen auf, in denen jedoch ein gewisser Schalk, aber auch eine eiserne Entschlossenheit aufblitzten.
»Warum nicht? Ich muss gestehen, dass mich die Sache reizt. Eigentlich handelt es sich ja um einen Betrug an Eurem Bräutigam. Aber den habe nicht ich zu verantworten, sondern Ihr.«
In Wahrheit war der Gedanke, mitzuhelfen, einen Mann zu beschwindeln – der glaubte, nur ein unberührtes weibliches Wesen sei es wert, die Seine zu werden –, für die Apothekerin durchaus faszinierend. Ein schlechtes Gewissen hatte sie keineswegs. Dem Herrn entstand schließlich keinerlei Schaden, und seiner Eitelkeit wurde obendrein Genüge getan. Solange nichts nach außen drang, wären alle zufrieden. Von sich aus wäre Magdalena allerdings nie auf einen derartigen Gedanken gekommen …
»Nun, wer weiß?«, überlegte sie mit Galgenhumor. »Vielleicht muss ich selbst irgendwann von dieser Methode Gebrauch machen? Schließlich bin auch ich keine virgo intacta mehr.«
Was von ihr verlangt wurde, war jener in jedem Bordell bekannte Kniff, der es den Hurenwirten erlaubte, »Jungfrauen« ein Dutzend Mal und noch öfter an Kunden zu verkaufen.
»Ich muss allerdings noch die wichtigsten Zutaten zu dem in Eurem Fall gebräuchlichen Absud besorgen: Alaun und Terpentin. Ich komme morgen um die gleiche Zeit wieder, wenn es Euch beliebt. Und dann, mein liebes Kind, werdet Ihr Euch wieder in die keusche Jungfrau zurückverwandeln, die Euer zukünftiger Gemahl erwartet.«
Sie zwinkerte dem jungen Ding im Bett zu. Das Fräulein kicherte; es klang erleichtert und ein bisschen schadenfroh.
Als Magdalena sich anschickte, das Zimmer des reichen Mädchens zu verlassen, hielt die Amme sie auf.
»Hier! Im Voraus für Eure Mühen«, murmelte sie und machte Anstalten, der Apothekerin eine schwere Geldbörse in die
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