Das Erbe der Apothekerin - Roman
allem Benedikt als unbeugsam galt. Dem gefiel das verschwenderische Lotterleben in Avignon außerordentlich gut; und davon, dass der Heilige Vater nach alter Tradition eigentlich in Rom (wo allerdings Gregor sich inzwischen eingenistet hatte) zu residieren habe, hielt er weniger als nichts. Sein überhebliches Motto lautete: »Ubi papa – ibi Roma«: »Wo der Papst sich aufhält, da ist Rom.«
Johannes sortierte gerade kompromittierende Papiere aus, um sie von seinem Sekretär in den großen Kamin werfen zu lassen. Das tat er immer, wenn er sich anschickte, seine Residenz für Wochen oder Monate zu verlassen. Die Zeiten waren unruhig, und es wäre immerhin möglich, dass sich Unbefugte während seiner Abwesenheit im Palast zu schaffen machten und dabei Dinge entdeckten, von denen der Heilige Vater nicht wünschte, dass sie der breiten Öffentlichkeit bekannt würden.
Es war ihm durchaus bewusst, dass sein Ruf nicht der beste war, aber das störte ihn nicht im Mindesten. Als Baldassare Cossa aus Neapel hatte er die Protektion von Papst Bonifaz IX. genossen: Immerhin hatte dieser ihn – der sein gewaltiges Vermögen als skrupelloser Seeräuber erworben hatte – zum Kardinal ernannt.
Trotz mannigfacher Verbrechen in Bologna – wo Baldassare Cossa nur dank unglaublichster Brutalität die Macht behaupten konnte – wählte man ihn 1410 zum Gegenpapst der beiden anderen Heiligen Väter, nachdem er seinen Vorgänger Alexander V. durch Giftmord ausgeschaltet hatte.
Dass er von geistlichen Dingen nichts, dafür umso mehr von militärischen verstand, schadete seiner Position keineswegs.
Papst Benedikt XIII. verließ aus Angst vor ihm zeitweilig seine Residenz in Avignon und zog sich – nahe seiner spanischen Heimat – nach Perpignan zurück …
So zuwider Johannes dieses Konstanzer Konzil auch sein mochte – obwohl er natürlich genau wie die beiden anderen Päpste heuchlerisch die Einheit der Kirche beschwor –, gab er sich doch der vagen Hoffnung hin, durch den deutschen König Rückendeckung zu erhalten.
Mit militärischen Mitteln, Bestechung, Erpressung und ergaunerten Verträgen gedachte er, allen Schwierigkeiten zum Trotz, die Oberhand zu gewinnen. Von Natur aus misstrauisch, neigte Johannes XXIII. doch durchaus hin und wieder zum Optimismus. Und in diesem Fall erschien es ihm durchaus nicht unberechtigt. Mit Sigismund, den nicht wenige bereits Kaiser titulierten, war er bei den Verhandlungen in Lodi ganz gut zurechtgekommen.
Für den Augenblick galt es, »Persönliches« zu regeln: Seine bisherige Mätresse, eine zwar schöne, temperamentvolle, aber allzu kapriziöse Edeldame aus vornehmer Mailänder Familie, hatte er, samt ihren überzogenen Ansprüchen, gründlich satt.
»Was denkt Ihr, Don Severino?«, fragte der Pontifex seinen vertrauten Secretarius – einst ein Pirat wie er selbst, aber immerhin ein geweihter Priester. »In diesem vermaledeiten Konstanz, diesem schwäbischen Provinznest, wird es doch an hübschen jungen Prostituierten nicht mangeln? Auf Donna Sofia Lucrezia werde ich doch gut und gerne verzichten können?«
»Aber gewiss, Heiligkeit«, versicherte Don Severino, der um die Streitigkeiten zwischen seinem Herrn und dessen Konkubine wusste. Energisch warf er dabei den letzten Packen kompromittierender Papiere in das lodernde Feuer im
Kamin. »Da finden wir gewiss etwas ganz Exquisites, dafür verbürge ich mich, Heiliger Vater.«
»Sehr gut!« Johannes, eher klein von Gestalt und etwas dicklich, aber mit seinen vierzig Jahren noch ein Mann im besten Alter und überdies »gesegnet« mit einem Geschlechtstrieb, der mit schöner Regelmäßigkeit täglich zweibis dreimal, manchmal auch öfter, nach Befriedigung verlangte, rieb sich die Hände.
»Dann könntet Ihr auch gleich so gut sein und Donna Sofia Lucrezia zu verstehen geben, dass sie nicht für die Reise nach Konstanz zu packen braucht und – dass ihre Anwesenheit bei unserer Rückkehr nach Pisa nicht mehr vonnöten sein wird.
Und tut mir noch den Gefallen, Don Severino, und besorgt mir eine hübsche Kleine für heute Nacht – mit Sofia Lucrezias Entgegenkommen werde ich, sobald Ihr mit ihr geredet habt, kaum noch rechnen können …« Er konnte sich eines schadenfrohen Lachens nicht enthalten.
»Sehr wohl, Eure Heiligkeit!« Der Sekretär verneigte sich und verließ ergeben den Saal. Es war also mal wieder so weit. Allmählich hatte er eine gewisse Übung darin, die verflossenen Geliebten seines Herrn zum Teufel zu
Weitere Kostenlose Bücher