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Das Erbe der Apothekerin - Roman

Das Erbe der Apothekerin - Roman

Titel: Das Erbe der Apothekerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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Wirtssohn nickte eifrig.
    »Das kann ich auch«, behauptete Magdalena sofort, aber der Schmied winkte ab. »Kommt gar nicht in Frage, Lena. Der Boden ist rutschig, und hinfallen willst du in deinem Zustand doch nicht, oder?«
    Er lächelte sie an, und zum ersten Mal, seit sie zusammen reisten, kam es Magdalena in den Sinn, wie rührend besorgt der Vetter um sie war. »Schade, dass ich ihn erst so spät kennengelernt habe«, dachte sie unwillkürlich. Sofort aber verdrängte sie diesen Gedanken wieder und versuchte ungeduldig, mit ihren Augen den Nebel zu durchdringen, der den Weg, in dessen Verlauf sie doch auf Konrad zu treffen hoffte, ihrem Blick entzog.
    Auf einmal war Utzens aufgeregte Stimme zu hören. Es musste sich schon um etwas Besonderes handeln, denn so
leicht brachte den vierschrötigen Knecht nichts aus der Ruhe. Magdalena hatte sich wieder in die Sitzpolster sinken lassen und war kurz davor gewesen, trotz des Gerumpels leicht einzunicken, aber jetzt richtete sie sich schlagartig auf. Rolf und Betz waren aufgesprungen und rannten nach vorne.
    »Was ist los?«
    »Brrrr!« Vorsichtig zügelte Utz das Vierergespann. Es gab einen gewaltigen Ruck, und kurz darauf hielt der schwere Karren an. Offenbar verbarrikadierte ein Hindernis den Weg.
    Um Gotteswillen! Nicht schon wieder! Magdalena glaubte, das Herz müsse ihr stehen bleiben. Den Pfad versperrten vier kräftige Männer, ausgestattet mit Lederhelmen und ledernen Wämsern sowie Lanzen, die sie auf die Maultiere richteten.
    Der vierte hatte anstelle einer Lanze eine Fahne in der Hand, die er nun eifrig hin und her schwenkte. Sie zeigte ein schwarzes Kreuz, dessen vier Balken jeweils in gegabelten Enden ausliefen.
    »Haltet an in Gottes und des heiligen Lazarus Namen!«, rief ihnen der mit der Fahne entgegen.
    »Heilige Muttergottes! Ist etwa die Mieselsucht unter Euch?«
    Rolf wurde totenbleich, ebenso Betz und sogar der unerschütterliche Utz hatte schlagartig seine frische Gesichtsfarbe verloren: Galt dieser Heilige doch als Schutzpatron der am Aussatz Erkrankten.
    Die Seuche – nach dem Schwarzen Tod die schlimmste Geißel Gottes – hatte offenbar ihren Weg in dieses liebliche Tal gefunden.
    »Jawohl, Herr! Dem Herrgott sei’s geklagt! Den ältesten Sohn des hiesigen Grafen hat’s erwischt! Gott allein weiß, wo
er sich das Übel geholt hat. Jetzt eben wird er vom ganzen Dorf zur Totenmesse geleitet, die für ihn gelesen wird. Wenn Ihr wollt, mögt Ihr immerhin teilnehmen und für ihn beten.«
    In diesem Augenblick tauchte eine ansehnliche Menschenmenge, singend und betend, aus dem Nebel auf und bog von rechts auf den Hauptweg ein. Vorneweg schritt ein Geistlicher im weißen Chorrock über der schwarzen Soutane, ein silbernes Kruzifix auf einer langen Stange tragend, begleitet von zwei Weihrauchfass schwenkenden Ministranten.
    Hinterdrein kamen – ihrer bestickten und mit Pelz verbrämten, vornehmen Kleidung nach zu schließen – die Honoratioren der Umgebung, vermutlich die Familie des vom Aussatz Befallenen, sowie die reichsten Bauern. Ärmeres Volk schloss sich an, Knechte, Mägde und auch viele Kinder.
    In weitem Abstand – aus panischer Furcht vor Ansteckung von der Gemeinde getrennt – folgte der Kranke selbst. Der junge Mann, hochgewachsen und kräftig gebaut, war in ein weißes, bodenlanges Gewand gehüllt, eine Kapuze bedeckte weitgehend sein Haar, und sein Gesicht wurde von einem schwarzen Bart umrahmt. Sein Schritt war aufrecht und federnd, nichts deutete darauf hin, dass ihn die entsetzliche Seuche heimgesucht hatte. Die Hände hielt er gefaltet, und laut ertönte seine Stimme, mit der er den etwas dünnen Gesang der Gemeinde unterstützte.
    Rolf wandte sich leise an seine Verwandte. »Was ist, Lena, wollen wir ebenfalls für den armen Mann und seine Seelenstärke, mit der er sein schweres Schicksal ertragen muss, beten? Weiterfahren können wir ohnehin erst, sobald die Straße wieder freigegeben ist.«
    Das Mädchen zuckte mit den Achseln. »Warum nicht? Er mag zwar ein Sünder sein, aber die Strafe, mit der der Herrgott ihn bedacht hat, ist arg grausam.«

    Auch hinter dem Befallenen klaffte eine große Lücke. Erst nach etwa zwanzig Metern beschlossen mit Schwertern, Lanzen und Armbrüsten bewaffnete Männer den Elendszug.
    Dass diese Prozession so martialisch bewacht wurde, geschah offiziell »zum Schutz des Kranken«. Aber Magdalena und alle anderen wussten, dass der Sinn des Ganzen folgender war: Sollte der am Aussatz Erkrankte

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