Das Erbe der Apothekerin - Roman
ich aber leider nicht – sonst hätte ich schon längst deinen Liebsten für dich herbeigezaubert!«
Brüsk wandte er sich ab. Sollte sie ruhig über ihr Benehmen nachdenken.
KAPITEL 18
ZU MAGDALENAS BITTERER Enttäuschung schafften sie es auch am nächsten Tag nicht, Konrad Grießhaber einzuholen. Wie in den Bergen nicht unüblich, änderte sich das Wetter dramatisch von einem Tag auf den anderen. Nach einem Gewitter, das in der Nacht mit starken Regengüssen einhergegangen war, wurde es am nächsten Morgen nicht etwa besser: Im Gegenteil, der Himmel hing schwer und bleigrau über dem Tal, und dunkle Wolken hüllten die Gipfel ein.
Als sie die Herberge verließen, war es kühl; überdies nieselte es. Rolf blickte zweifelnd zum Himmel auf. »Ich möchte nicht darauf wetten, dass es heute noch aufreißt. Was meint ihr, Utz und Betz?«, wandte er sich an seinen Knecht und zugleich an den neuen Burschen, den ihm der Herbergsvater angepriesen hatte.
Beide nickten zustimmend. Bei letzterem handelte es sich um Bernhard, genannt »Betz«, den angeblich fast siebzehnjährigen Sohn des Wirts – nach Aussagen seines Vaters fleißig und flink.
»Er stellt sich bei allem sehr geschickt an«, hatte ihn der Wirt Rolf empfohlen. »Und bezahlen müsst Ihr ihn auch nicht. Es reicht, wenn Ihr ihm genug zu essen gebt, und schlafen kann er unter dem Wagen. Achtet bloß darauf, Herr, dass Ihr ihn auf dem Rückweg wieder heil bei mir abliefert.«
»Ich schätze, der Herbergsvater will einen Esser weniger am Tisch haben«, vermutete Magdalena nach einer gründlichen Musterung des eher schmächtig und deutlich jünger als siebzehn Jahre wirkenden Burschen, und Rolf pflichtete ihr bei. Auch ihm war nicht entgangen, dass die Bewirtschafter des winzigen Gasthofs mit angeschlossener Landwirtschaft über acht Kinder verfügten, die munter herumsprangen, während ein weiteres noch im Krabbelalter war und das nächste bereits offensichtlich im Bauch der Wirtin darauf wartete, das Licht der Welt zu erblicken.
»Wie viele Kinder wird die Frau bis jetzt wohl schon geboren haben?«, hatte Magdalena am Vorabend überlegt und die Wirtin eingehend aus der Nähe betrachtet. Alt und verbraucht und unendlich müde sah sie aus. Es war kaum anzunehmen, dass jedes ihrer Kinder überlebt hatte.
Als hätte die schlichte Frau ihre Gedanken erahnt, wandte sie sich an Magdalena und fasste sie prüfend ins Auge. »Auch Ihr werdet bald Mutter sein«, sagte sie und deutete auf die Wölbung unter Lenas Schürze. »Hoffentlich habt Ihr mehr Glück als ich, junge Frau!«
»Wie meint Ihr das? Ihr habt doch neun gesunde Kinder, und das zehnte wird auch nicht mehr lang auf sich warten lassen, denk’ ich. Mehr Mutterglück gibt’s doch kaum!« Magdalena konnte ihr Erstaunen nicht verbergen.
»Ja, ja, Mutterglück! Von wegen! Das einundzwanzigste Mal bin ich jetzt in gesegneten Umständen, viermal hab’ ich das betreffende Kind verloren. Die schwere Arbeit in der
Wirtschaft und auf dem Hof, Ihr versteht? Von den anderen, die ich auf die Welt gebracht hab’, liegen sieben drüben bei der Kirche auf dem Gottesacker. Und was mit dem hier wird«, sie legte die Hand auf ihren schweren Leib, »das liegt allein in Gottes Hand. Ich bin fast vierzig, und ob ich die Geburt übersteh’, weiß keiner.«
»Es wird schon alles gut werden«, versuchte Magdalena der Frau, die wegen ihres gewaltigen Leibesumfangs kaum noch zu gehen vermochte, Mut zu machen. »Ich werde für Euch und Euer Kleines beten.« Der Bauch, den die abgezehrte Wirtin vor sich her schob, erschien ihr geradezu grotesk riesig. Es mussten mindestens zwei Kinder sein, die sie in sich trug.
Insgeheim war Magdalena entsetzt. Die arme Frau, die aussah, als wäre sie Ende fünfzig, musste in jedem Jahr ihrer Ehe schwanger geworden sein. Wenn es das war, was einen nach der Hochzeit erwartete, musste jedes Mädchen verrückt sein, das sich darauf einließ …
Freilich, in Ravensburg war es auch üblich, dass arme Tagelöhnerfrauen ständig in anderen Umständen waren, während die reichen Bürgersgattinnen die Menge ihres Nachwuchses zu beschränken wussten. Armut und Unwissenheit gingen meist Hand in Hand. Dazu gesellte sich blinde und gedankenlose Kirchenhörigkeit.
Wenn es nach den Pfaffen gegangen wäre, hätte jede verheiratete Frau so ein miserables Leben wie die Herbergsmutter hier geführt: Fortwährende Schwangerschaft, alljährliches Kindbett und mit vierzig Jahren vollkommen ausgelaugt oder auf
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