Das Erbe der Apothekerin - Roman
ab – und an dieser mangelte es ihr in zunehmendem Maße.
Es war inzwischen Ende Juni, und das Kind in ihrem Leib bewegte sich bereits. Ihr Bauch wuchs, und ihre Reserven schwanden dahin. Gerade nachts, wenn sie hoffte, endlich zur Ruhe zu kommen, verhielt sich das Kleine so wild und ungebärdig, als wolle es bereits jetzt seine schützende Höhle verlassen. Am Morgen stand Magdalena dann jedes Mal todmüde auf, mit schmerzendem Rücken, schweren Beinen und schwarzen Rändern unter den blauen Augen.
»Dein Gesicht wird jeden Tag schmaler«, stellte der Schmied besorgt beim spärlichen Abendmahl im Quartier fest. »Auch deine Arme werden immer magerer. Du solltest mehr essen, meine Liebe.«
Das war leichter gesagt denn getan; der jungen Frau graute mittlerweile vor sämtlichen Speisen, die sie zu sich
nahm. Mit jedem Tag, den sie Konrad hinterherfuhren und der verging, ohne ihn einzuholen, schwand ihre Zuversicht mehr dahin, ihn überhaupt jemals zu treffen, ehe sie niederkam.
Jetzt war es Rolf, der sie aufmuntern musste: »Keine Sorge, Lena! Wenn wir ihn heute nicht finden, dann bestimmt morgen. «
»Ja, ja, morgen«, erwiderte Magdalena, aber es klang sehr mutlos. Mit gesenktem Kopf stocherte sie lustlos in dem lieblos zubereiteten Eintopf herum. Die Schatten, die im flackernden Kerzenschein auf ihr Gesicht fielen, ließen dieses noch hohlwangiger erscheinen. Selbst dem nüchternen Utz – im Allgemeinen keine sehr mitfühlende Seele – ging ihr Anblick allmählich zu Herzen. Ihn dauerte die werdende Mutter, die dem Vater ihres Kindes regelrecht hinterherhechelte, ohne jede Aussicht darauf, dass der sich besonders um sie kümmern würde. Immerhin war er in Begleitung seiner rechtmäßig angetrauten Ehefrau …
Auf einmal wurde das junge Mädchen von blinder Wut erfasst. Wut auf ihr elendes Schicksal, auf ihren Vater, der einfach gestorben war und sie alleingelassen und damit der Willkür ihres Oheims ausgeliefert hatte, Wut auf die ehrwürdige Mutter, Oberin Notburga, die ihr keinerlei Verständnis entgegenbrachte.
Außerdem fühlte sie plötzlich auch großen Zorn auf Konrad in sich aufsteigen. Erst machte er ihr ein Kind und dann ließ er sie im Stich! Womöglich waren ihm die Lügen ihres Oheims gerade recht gewesen, um sich von ihr zu trennen und die reiche Alte heiraten zu können!
Wut verspürte sie aber auch auf ihre Großmutter, die sie nicht ausreichend beschützt hatte, und auf Muhme Margret, die aus Feigheit vor ihrem Mann nicht wagte, laut zu protestieren.
Vor allem aber empfand sie einen ungerechten Zorn gegen Gertrude, weil diese nicht verhindert hatte, dass sie jetzt in den Schweizer Bergen festsaß, auf einem Wagen, der Armbrüste und Modelle von Kanonen transportierte, und Tag für Tag einer Illusion hinterherjagte.
Da jedoch keine dieser Personen im Augenblick greifbar war, ließ sie ihren unkontrollierten Unmut ausgerechnet an dem Menschen aus, der am allerwenigsten dafür konnte. Rolf Reichle reagierte vollkommen verdattert auf den Angriff Magdalenas, die ihm vorwarf, nur an sich und seine kostbare Warenladung zu denken.
»Du hast doch gar kein Interesse daran, dass wir Konrad finden«, fauchte sie ihn wie aus heiterem Himmel an. »Dir geht es einzig darum, dass du unbeschadet nach Italien kommst, um dein Zeug loszuwerden! Was aus mir wird, kümmert dich nicht im Geringsten!«
Sie schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus. Es schüttelte sie geradezu, und ihre Schultern bebten, während sie vergeblich versuchte, sich mit den Fingern die Wangen zu trocknen.
»Hier, nimm!«, hörte sie ihren Begleiter nach einer Weile sagen, und automatisch griff sie nach dem Tuch, das der junge Mann ihr hinhielt. Sie wischte sich die Augen, fuhr sich damit über das Gesicht und zuletzt schnäuzte sie sich noch laut. Dabei wirkte sie nicht wie eine erwachsene Frau, sondern wie ein kleines, verlassenes Kind – und genauso fühlte sie sich auch.
Das Herz des jungen Mannes zog sich vor Kummer zusammen; am liebsten hätte er Magdalena in die Arme genommen, an sich gedrückt und ihr leise ins Ohr geflüstert, was er wirklich für sie empfand … Aber das verbot sich von selbst – und außerdem fürchtete er, sich lächerlich zu machen:
Ihr Sinn war nun mal nur auf Konrad gerichtet, den Vater ihres ungeborenen Kindes.
Laut sagte er nach einer Weile: »Lena, du weißt, dass das nicht stimmt! Warum behauptest du es dann? Das kränkt mich bitter, denn ich tue wirklich mein Bestes. Hexen kann
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