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Das Erbe der Apothekerin - Roman

Das Erbe der Apothekerin - Roman

Titel: Das Erbe der Apothekerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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darstellten – ganz ruhig gesagt hatte:
    »Das Wichtigste, was eine Hebamme beherrschen muss, ist, dass sie einen kühlen Kopf bewahrt und die Kreißende beruhigt und dass sie während des Geburtsaktes Sauberkeit walten lässt. Vor allem ihre Hände, die Mutter und Kind berühren,
sowie das notwendige Geschirr und die Tücher, Laken und Decken müssen absolut rein sein.
    Zum Zweiten darf, wer bei einer Geburt hilft, keine Scheu davor haben, beherzt mit den Fingern in den Geburtskanal zu fassen, um das Kind zu drehen, falls es quer liegt. Alles Zögern und Zaudern verbraucht nur unnötig Zeit und kann Mutter und Kind das Leben kosten.«
    Was saubere Wäsche, Kissen und Decken anlangte, hatte Trude in weiser Voraussicht vorgesorgt, und dass Rolf – sie ging wie selbstverständlich davon aus, dass er ihre »Wehmutter« sein würde – sich die Hände wusch, ehe er »zupackte«, daran zweifelte sie keinen Augenblick. Aber allein der Gedanke daran, dass ein Mann sie in dieser urweiblichen und höchst intimen Situation erleben würde, ließ ihr den Atem stocken und regelrecht den Angstschweiß austreten.
    Magdalena, die erkannte, dass sie sich schon viel zu weit von den anderen entfernt hatte, blieb abrupt stehen und erstarrte zur Salzsäule, als sie ein Geräusch hinter einer Buschgruppe vernahm, in deren Schatten sie sich eigentlich hatte niederkauern wollen.
    Da! Da war es wieder! Ein seltsames, lautes Schnaufen, gefolgt von einer Art tiefem Gebrumm, das sie noch niemals vorher gehört hatte, das sie jedoch umgehend mit einem Bären in Verbindung brachte. Zu allem Überfluss hörte sie nun in der Ferne die Maultiere ängstlich wiehern – so, als witterten sie ebenfalls die Gefahr.
    Gütiger Jesus! Das Raubtier musste ganz in ihrer Nähe sein. Mit Sicherheit hatte es sie längst erspäht, und im nächsten Augenblick würde es sich auf sie stürzen, sie mit einem Prankenschlag niederstrecken, ihr mit seinen Krallen den Bauch aufreißen und …
    »Halt!«, dachte sie und verbot sich jedes weitere Spintisieren.
Auch das hatte ihr Georg Scheitlin beigebracht, als sie noch ein kleines Mädchen war: »Wenn du in Gefahr bist, mache sie nicht noch größer, indem du dir die schrecklichsten Dinge ausmalst, die geschehen könnten. Denke lieber darüber nach, was du tun kannst, um dich aus der Schlinge zu ziehen.«
    Der Herzschlag der jungen Frau verlangsamte sich wieder ein wenig. Zum Glück hatte sich das Bedürfnis, Wasser zu lassen, verflüchtigt. Sie konnte sich demnach mit aller Behutsamkeit Schritt für Schritt zurückziehen. Im taunassen Gras verursachten ihre bloßen Füße kein Geräusch. Sie war froh, noch nicht in dem kleinen Wäldchen, das sie eigentlich angesteuert hatte, angekommen zu sein. Die trockenen Tannennadeln am Boden hätten womöglich geknistert und geknackt.
    Zentimeterweise zog das Mädchen sich zurück, beide Hände instinktiv schützend auf ihren Leib gelegt. Es schien ihr eine Ewigkeit zu dauern, bis sie den Wagen in der Finsternis auftauchen sah. Mittlerweile hatte sich eine einzelne Wolke vor den Vollmond geschoben, und nur die Sterne erhellten das nächtliche Dunkel. Von einem Bären sah und hörte sie nichts.
    Mutiger geworden, beschleunigte sie ihren Schritt. Gleich würde sie Betz sehen, der Wache hielt. Im nächsten Augenblick aber blieb ihr beinah das Herz vor Schreck stehen.
    Neben dem Handelswagen erkannte sie im Mondlicht – die Wolke war inzwischen vorüber gezogen –, wie sich eine riesengroße plumpe Gestalt über den Knaben beugte, ihn mit einem Schlag seiner mächtigen Pranke niederstreckte, am Kragen packte und Anstalten machte, ihn davonzuschleppen!
    Betz musste bewusstlos sein, sonst hätte er sich doch gewehrt oder zumindest um Hilfe geschrien. Ohne lange zu überlegen, erledigte das jetzt Magdalena für ihn. Ihre gellenden
Schreie weckten die schlafenden Männer auf. Im nächsten Augenblick waren Rolf und Utz unter dem Wagen hervorgekrochen und standen – jeder mit einem langen Dolch in der Faust – dem Angreifer gegenüber.
    Dieser hatte sich, als er die Schreie Magdalenas hörte, auf alle viere zu Boden niederfallen lassen, allerdings ohne seine Beute loszulassen. Jetzt richtete er sich erneut auf, den besinnungslosen Burschen mit sich in die Höhe reißend, und stand wie ein Riese Rolf und Utz gegenüber.
    In diesem Augenblick wurde Magdalena ohnmächtig. Sie sank in den vom nächtlichen Tau feuchten Klee nieder und von da ab wusste sie nichts mehr. Ehe ihr die Sinne

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