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Das Erbe der Apothekerin - Roman

Das Erbe der Apothekerin - Roman

Titel: Das Erbe der Apothekerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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schlecht, und in höheren Lagen wurde es nachts empfindlich kühl – was auch nicht gerade zu einer Besserung der allgemeinen Stimmung beitrug. Endlich überwanden sie glücklich den Septimer Pass, und auf der anderen Seite der Passhöhe ließ sich zum ersten Mal nach Wochen wieder die Sonne blicken.
    Die Menschenmassen, die ihnen entgegenkamen, wuchsen mit jedem Tag an. Oft war auf den schmalen Pfaden fast kein Durchkommen mehr. Aus allen Richtungen strömten vornehme geistliche und weltliche Herren und auch ganz gewöhnliche Pilger nach Deutschland zum Konzil. Das bedeutete zwar erhebliche Verzögerungen, aber zugleich sank auch die Gefahr, von Banditen belästigt oder von wilden Tieren angegriffen zu werden, denn die Bestien mieden im Allgemeinen die Menschen, und die meisten Reisenden ritten überdies unter schwerer Bewachung.
    »Seht doch, wie herrlich!«
    Magdalena genoss vom Wagen aus gerade den überwältigenden Ausblick auf den über dreitausendeinhundert Meter hohen Piz Duan, dessen Gipfel auch im Sommer von ewigem Eis gekrönt war. In Stampa, am Flüsschen Mera gelegen, wollten sie übernachten.
    »Ja, der liebe Gott hat sich hier ganz besonders angestrengt, als er die Welt erschaffen hat.« Utz wurde ganz ehrfürchtig angesichts der Majestät der umliegenden Bergwelt, und auch Rolf, dem diese Gegend freilich nicht neu war, stimmte zu: »Ganz klein fühlt man sich als Mensch, wenn man diese Pracht bestaunt.«
    Betz allerdings war so überwältigt von der Schönheit der Natur, dass er einfach schwieg, den Kopf in den Nacken legte
und sich nicht sattsehen konnte. Er hätte besser auf den Weg achten sollen, denn schon nach kurzer Zeit stolperte er auf dem steinigen Pfad und fiel unglücklich hin. Dabei kugelte er sich den Arm aus, der ohnehin – gequetscht von der Bärenpranke – in einer Schlinge hing.
    Magdalena erbot sich, den Oberarm des Jungen wieder einzurenken, verlangte allerdings, dass Rolf ihn während der Prozedur gut festhielt. Wusste sie doch, dass ihre Handgriffe verteufelt wehtun würden. Sie wollte nicht, dass Betz eine dumme Bewegung machte und sich – oder sie – dabei verletzte.
    Der Schrei des Vierzehnjährigen ging ihr durch Mark und Bein, aber sie schaffte es glücklicherweise gleich beim ersten Versuch, den Knochen wieder in seine Gelenkpfanne zurückschnappen zu lassen. Anschließend rieb sie Heilsalbe auf Schulter und Oberarm des jungen Burschen, ehe sie ihm einen neuen Verband anlegte.
    »Hock dich auf den Wagen, du Unglücksrabe«, verlangte sein Herr. »Ich will nicht riskieren, dass du erneut auf die Nase fällst und dir womöglich noch ein Bein brichst.«
    Zum Schein sträubte sich Betz, jedoch nur kurz. In Wahrheit liebte er es, bei der schönen »Herrin« zu sitzen. Obwohl er wusste, dass sie ein Kind von einem anderen erwartete, hielt er sie für die passende Ehefrau für Rolf Reichle. Jeden Tag betete er darum, dass sie den ehemaligen Bräutigam Lenas nicht einholten – ohne zu wissen, dass sein Herr insgeheim das Gleiche erhoffte …
    Magdalena freute sich heimlich über diesen »Paladin«, der ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen bestrebt war. Anfangs hatten Rolf und Utz noch gutmütig gegrinst, als der Knabe anfing, die junge Frau mit selbst gepflückten Wiesenblumensträußen zu überraschen. Utz merkte jedoch bald –
obwohl sein Herr kein Wort darüber verlor –, dass es Rolf zunehmend störte, mit welch anhänglichem Hundeblick Betz die junge Frau betrachtete.
    »Reiß dich zusammen, Kleiner, wenn du keinen Ärger haben willst«, riet er ihm eines Nachts, als er ihn beim Wachdienst ablöste.
    »Magdalena ist weder deine Base noch deine Schwester, noch deine Liebste! Sie ist die Verlobte eines Ravensburger Kaufherrn und bald die Mutter seines Kindes und außerdem die Verwandte unseres Herrn. Also spinn dir keine Geschichten zusammen, sonst machst du Rolf womöglich wütend.«
    Betz wollte protestieren, aber sein schamrot glühendes Gesicht sprach Bände, und Utz winkte lachend ab: »Lass nur, Kleiner! Ich kenn’ mich aus mit so was – ich war selber auch einmal vierzehn Jahre alt. Und nun geh schlafen, es ist meine Schicht.«
    Betz ließ es sich jedoch nicht nehmen, weiterhin Magdalenas Nähe zu suchen. Gelegentlich massierte er ihr die geschwollenen Füße, brachte ihr zu essen und zu trinken, schüttelte ihre Decken aus und wenn ihr heiß war, fächelte er ihr mit Zweigen frische Luft zu. Zum Dank erzählte ihm die junge Frau allerlei Geschichten, die sie

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