Das Erbe der Apothekerin - Roman
beseitigen.
Magdalena hingegen würde wieder kurz nach dem Morgengrauen ihren Platz in der wunderbaren Klosterapotheke einnehmen, beziehungsweise in dem herrlich würzig duftenden Kräuterkämmerchen daneben, wo die Heilpflanzen aufbewahrt und getrocknet, die Arzneien zubereitet, die Salben gerührt und die Tees gemischt und abgewogen wurden. Die Apotheke war mindestens so gut ausgestattet wie die ihres Vaters, wie Magdalena gleich am ersten Tag mit Kennerblick erkannt hatte. Sie hatte sich inmitten der Extrakte, der Kräuter, der kleinen Waagen und der Tiegel sofort zu Hause gefühlt und sich unverzüglich ans Werk gemacht. Ihre Geschicklichkeit und ihr zupackendes, jedoch nie aufdringliches Wesen überzeugte alle, und schon bald vertraute man ihr auch schwierigere Rezepturen an. Die tägliche Arbeit tat Magdalena sehr gut und schien ihr ein Stück weit ihr altes Leben zurückzugeben – jenes, als ihr Vater noch lebte und sie ihm assistierte und von ihm lernte.
»Ich wünsche Euch eine gesegnete Nachtruhe, Vetter Julius«, flüsterte die junge Frau dem um gut zwanzig Jahre älteren Mann zu, als sie mit einem Leuchter in der Hand die Wohnstube verließ, um ihre Kammer im oberen Stockwerk des behäbigen Bürgerhauses aufzusuchen. Sie sprach deshalb so leise, weil sie weder die Haushälterin Berta noch Betz aufwecken wollte, der in einem Verschlag unter der Küchentreppe zu nächtigen pflegte.
Auch Julius dämpfte seine Stimme: »Schlaft wohl, liebe Base. Die heilige Jungfrau möge Euch beschützen. Und habt noch einmal Dank für Euren himmlischen Rinderbraten mit der göttlichen Rotweinsoße und den köstlichen Teigknödeln«, fügte er hinzu und verdrehte dabei genüsslich die Augen.
»Seid doch so gut und übernehmt öfters das Regiment am Herd. Berta meint es zwar gut, aber an Eure Kochkünste kommt sie bei weitem nicht heran.«
Er griff nun ebenfalls nach einem Kerzenständer, um sich in den kleinen Raum neben seiner Kanzlei im Erdgeschoß zurückzuziehen. Das bescheidene Zimmer genügte ihm als Schlafraum vollkommen. Das große Schlafgemach in der ersten Etage – gedacht für ein Ehepaar – hatte er noch nie benützt.
Zwei Tage später, am 18. November 1414, traf eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der Kirchenversammlung ein: Pierre d’Ailly.
Im Jahr 1389 zum Kanzler der Universität Paris ernannt, war er zugleich der Beichtvater Kaiser Karls IV. gewesen. Seit dem Frühjahr 1414 war er Kardinal und damit wahlberechtigt bei der Papstwahl und auch selbst wählbar. Bekanntheit hatte er aber vor allem als Geograph erlangt: Er vertrat die spektakuläre Auffassung, Indien müsse von Spanien aus binnen einiger Tage mit dem Schiff erreichbar sein. Alle waren der Ansicht, man dürfe gespannt sein, was dieser große Mann in Konstanz zu sagen habe.
Für Julius Zängle jedoch bedeuteten die nächsten Tage zunächst einmal eine Menge Ärger. Papst Gregor XII. – einer der drei Schismatiker und beinahe neunzig Jahre alt – hatte inzwischen kundgetan, dass er selbst die Reise nach Deutschland nicht antreten, aber statt seiner eine Delegation hochrangiger Geistlicher entsenden wolle. Zudem ließ er durchblicken, sich einer gemeinsamen Abdankung aller drei Päpste nicht in den Weg zu stellen.
Die Herren Papst Gregors kamen und wollten ihr in Konstanz vorbereitetes Quartier beziehen, jedoch nicht, ehe das
Wappen Papst Gregors XII. an dem Wohnhaus angebracht wäre …
Für Johannes XXIII. bedeutete das eine immense Provokation. Wutentbrannt rissen seine Anhänger das Wappenschild des Gegners herunter; es kam zu lautstarken Auseinandersetzungen und Beleidigungen mitten auf der Straße.
»Viel hätte nicht gefehlt, und die geistlichen Herren wären sich an die Gurgel gegangen«, berichtete Julius seiner Base am gleichen Abend. »Aber dann zogen sie es doch vor, ihren Unmut an mir auszulassen. Die einen warfen mir vor, ich würde die Eigenmächtigkeit der Anhänger Papst Gregors unterstützen, und die anderen taten so, als hätte ich sie bewusst herabsetzen wollen, weil ich nicht selbst die Anbringung des Wappens angeordnet hatte. Aber am meisten ärgerte mich Dominikus Läpple, der sofort die Gelegenheit ergriff und versuchte, mich bei Seiner Eminenz, Otto von Hachberg, unmöglich zu machen. Zum Glück steht der hohe Herr auf meiner Seite und nahm mich vor der unqualifizierten Kritik Läpples in Schutz.«
Der ansonsten so energiegeladene Zängle wirkte zutiefst erschöpft, und Magdalena legte ihm
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