Das Erbe der Apothekerin - Roman
Teil nach Norden oder Osten, der andere nach Süden oder Westen zeigte. Danach folgte
meistens ratloses Achselzucken, begleitet von mühsamem Radebrechen auf Deutsch bei dem verzweifelten Unterfangen, sich mit den Einheimischen zu verständigen. Manche, vor allem die Geistlichen, versuchten ihr Glück auch auf Latein.
Magdalena wusste von Julius, dass er das vorausgesehen hatte und eine ganze Schar von »Wegweisern« ausgebildet hatte. Sie standen an den strategisch wichtigen Punkten der Stadt verteilt und sollten verhindern, dass die Ausländer in die Irre gingen.
Leider klappte das, wie so vieles andere, nur in der Theorie ausgezeichnet – in der Praxis war es meistens so, dass sich begegnende oder kreuzende Gruppen gegenseitig behinderten und die Straßen erst recht verstopften. Die mangelhaften Sprachkenntnisse der einheimischen »Betreuer« blieben auch weit hinter den Idealvorstellungen des Notars zurück …
Es sollte sogar schon vorgekommen sein, dass die »falschen« Konzilsteilnehmer sich in einem Haus eingerichtet hatten, dies jedoch erst bemerkten, als feststand, dass die Zahl der Betten nicht ausreichte, oder als schließlich die »richtigen« Gäste anrückten.
Dann machten sie sich erneut auf die Suche nach ihrem Quartier, alles verbunden mit viel Geschrei, Gelächter und Schelten – aber vor allem mit lebhaftem Gestikulieren, falls es sich um Besucher aus dem südlichen Ausland handelte.
Magdalena fand es insgeheim herrlich – auch wenn sie das ihrem Vetter Julius niemals verraten hätte, wenn der wieder einmal mit zerquältem Gesicht nach Hause kam, da seine minutiösen Planungen an einer Sache gescheitert waren: der Unberechenbarkeit der Menschen. Das war Leben! Da bewegte sich etwas, das bewahrte vor Eintönigkeit und Langeweile.
In der Klosterapotheke wie überall, wo man sich auf Heilmittel spezialisiert hatte, wusste man oft nicht mehr, wo einem der Kopf stand: Die Patienten hatten sich um ein Vielfaches vermehrt. Die meisten wurden von kleineren Malaisen geplagt, sei es ein verdorbener Magen durch die ungewohnte Kost, oder ein Brummschädel, verursacht durch zu exzessiven Weingenuss. Nicht wenige der gelehrten – und geistlichen! – Herren ließen sich in der Fremde gehen und schlugen gehörig über die Stränge.
Als Magdalena sich gerade wieder durch eine ziellos mäandernde Menschentraube gekämpft hatte, fiel ihr Blick auf eine Gruppe junger Frauen, denen man ihr Gewerbe schon von weitem ansah: Gelbe Kleider mit großzügigem Halsausschnitt trugen sie – das war Vorschrift für Hübschlerinnen, um sie von den ehrbaren Frauen unterscheiden zu können. Außerdem benahmen sie sich sehr auffällig, indem sie überlaut miteinander redeten und immer wieder in kreischendes Gelächter ausbrachen.
Sie begannen sogar regelrecht zu johlen, weil, wie Magdalena genau beobachtete, ein jüngerer Herr eines der Mädchen in den Hintern gekniffen hatte.
»Die armen Dinger sind wahrlich nicht zu beneiden«, dachte sie. »Mögen sie sich auch heiter gebärden, ich glaube nicht, dass irgendeine von ihnen sehr glücklich ist. Nun, glücklich bin ich freilich auch nicht – wie könnte ich das? Man hat mir mein Kind getötet, mein Vetter Rolf ist ermordet worden und mein Bräutigam auf ewig für mich verloren.«
Doch jetzt, bei Tageslicht, machte sie der Gedanke an Konrad eher wütend denn traurig. Sie würde einfach nie begreifen, weshalb er sofort den Beteuerungen ihres Oheims geglaubt hatte – und nicht erst sein Herz befragte, ob sie zu solch einem »Verrat« an ihrer Liebe überhaupt fähig wäre.
An seiner Stelle hätte sie auf jeden Fall nicht gleich aus gekränkter Eitelkeit nach einem anderen Partner Ausschau gehalten. Magdalena konnte nicht umhin, sich der Frage zu stellen, der sie so lange ausgewichen war: War es womöglich gar nicht so weit her gewesen mit seiner Liebe? Als ihr die Tränen in die Augen schießen wollten, musste sie jedoch erkennen, dass sie für diese Frage noch immer nicht bereit war. In einem Anfall von kindischem Trotz schoss es ihr durch den Kopf:
»Ach, wäre ich doch niemals ins Kloster gegangen, sondern sofort Konrads Frau geworden, dann lebte unser gemeinsamer Sohn noch!« Sie seufzte tief, rief sich dann aber sofort zur Ordnung. Immerhin konnte sie zufrieden sein: Dank barmherziger Samariter hatte sie überlebt, war wieder gesund, und ihr Verwandter Julius hatte sie freundlich aufgenommen. Sie verrichtete eine sinnvolle Arbeit, musste weder hungern noch auf
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