Das Erbe der Apothekerin - Roman
der Straße schlafen und war nicht auf die Almosen liebeskranker Narren angewiesen. Alles in allem ging es ihr doch sehr gut.
Beherzt setzte sie ihren Weg ins Kloster fort und stürzte sich unerschrocken ins Getümmel, um möglichst rasch durch das Menschengewirr hindurchzugelangen. Inzwischen würde man sie wohl schon vermissen, überlegte sie und drängelte sich ungeduldig durch eine Gruppe von Gaffern.
Einige schimpften ihr hinterher, andere kannten sie und riefen ihr einen freundlichen Gruß nach. Im Laufe der wenigen Wochen hatte sie sich in der Stadt bereits einen gewissen Ruf als Heilkundige erworben. Plötzlich blieb ihr beinahe das Herz stehen, glaubte sie doch in der Menge einen Mann zu erkennen, von dem sie am liebsten nie mehr in ihrem ganzen Leben etwas gehört oder gesehen hätte.
Verwirrt kniff sie die Augen zusammen, und als sie sie erneut
öffnete, war die Gestalt verschwunden. Trotz angestrengten Starrens auf denselben Fleck, an dem sie Mauritz Scheitlin gesehen zu haben glaubte, waren da nur Fremde, von ihrem Oheim keine Spur. Nachdenklich und mit einem Mal bedrückt setzte Magdalena ihren Weg fort.
Am 7. Dezember 1414 eilte Julius Zängle schon bei frühmorgendlicher Dunkelheit ins Münster. Gerüchte über heftige Konfrontationen hatten sich am vergangenen Tag in der Stadt verbreitet, und er befürchtete, es könne womöglich zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kommen.
»Ich will persönlich ein Auge auf das Ganze haben und zumindest zu verhindern suchen, dass ausgerechnet die ärgsten Streithähne nebeneinander Platz nehmen«, verriet er Magdalena, die kurz nach ihm das Haus verlassen würde.
»Ich beneide Euch nicht darum.« Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Was ich im Kloster so aufschnappe über das Benehmen mancher Teilnehmer ist eine Schande. Frater Johannes und seine Mitbrüder gehen jeden Tag ins Münster und sind oft regelrecht entsetzt über die Wortwahl, derer sich die hohe Geistlichkeit bedient.«
Ihr Vetter seufzte und unterdrückte eine entsprechende Bemerkung. Irgendwie war ihm das Ganze peinlich, und er wollte nicht näher darauf eingehen. Er verabschiedete sich schnell und eilte durch die Gassen, um Ritter Bodman in seinen Bemühungen, Ruhe in der Stadt und besonders im Münster zu gewährleisten, zu unterstützen.
An einem der nächsten Tage machte Magdalena auf ihrem Weg zum Kloster dieselbe traurige Beobachtung, die sie schon einmal so betroffen gestimmt hatte. Sie verließ Sankt Stephan, wo sie getreu ihrem Versprechen jeden Tag auf dem Marienaltar
in einer Seitenkapelle eine Rose in Gedenken an die so früh Verstorbenen niederlegte, als sie vor sich auf der Gasse Mariechen, die Korbflechtertochter, vorüberhuschen sah. Trotz des kalten Windes und des eisigen Bodens trug sie ein viel zu kurzes und dünnes Kittelchen und war barfuß.
»Heilige Mutter Gottes«, dachte die Apothekerin mitleidig, »das arme Geschöpf wird sich den Tod holen in dieser armseligen Bekleidung!« Unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte, um das Mädchen einzuholen, aber die Gasse war bereits mit Passanten überfüllt, und sie befürchtete, die Kleine erneut aus den Augen zu verlieren. Sie beschloss, lauthals den Namen des Kindes zu rufen.
Als Mariechen die weibliche Stimme hörte, blieb sie stehen und drehte sich um, dabei mit beiden Händen die schwankende Last aus Körben auf ihrem Kopf festhaltend. Suchend blickte sie sich um. Magdalena trat auf sie zu und blickte in große erschrockene Augen in einem mageren Kindergesicht, das zu beiden Seiten von dünnen blonden Zöpfen eingerahmt wurde.
»Ich bin Mariechen«, sagte das Kind leise. »Und wer seid Ihr, Jungfer?«
»Du musst dich vor mir nicht fürchten, meine Liebe.« Magdalena war bestrebt, der Kleinen ja keine Angst einzujagen. »Du bist mir schon neulich aufgefallen, weil du so fleißig bist. Deine Mutter ist gewiss sehr stolz auf dich, Mariechen. Ich bin die Apothekerin, die bei den Franziskanerbrüdern arbeitet.«
»Ach, jetzt erkenne ich Euch!« Das Mädchen lächelte scheu. Magdalena entging nicht, dass es dabei abwechselnd nur auf einem Bein stand, weil vermutlich die Kälte, die vom Boden aufstieg, für zwei Fußsohlen auf längere Zeit unerträglich gewesen wäre.
»Man nennt Euch doch ›Die Rose von Konstanz‹. Was kann ich für Euch tun, Jungfer?«
Magdalena schluckte und verstummte für einen Augenblick. Von ihrem neuen »Namen« hatte sie bisher noch nichts gehört und im ersten Moment wusste
Weitere Kostenlose Bücher