Das Erbe der Elfen
stehen.
»Schlecht!«, schrie Lambert. »Du gehst zu nah heran! Und schlag nicht blindlings! Ich habe gesagt, mit der Schwertspitze nach der Halsschlagader! Wo hat ein Humanoide die Halsschlagader? Auf dem Scheitel? Was ist mit dir los? Konzentrier dich, Fürstentochter!«
Ha, dachte Triss. Es ist also doch wahr, keine Legende. Das ist sie. Ich habe gut geraten.
Sie beschloss, unverzüglich anzugreifen, ohne den Hexern Ausflüchte zu lassen.
»Das berühmte Überraschungskind?«, sagte sie und zeigte auf Ciri. »Wie ich sehe, macht ihr Ernst mit der Erfüllung der Forderungen von Schicksal und Vorherbestimmung. Aber irgendwie habt ihr die Märchen verwechselt, Jungs. In den Märchen, die mir erzählt worden sind, werden Hirtenmädchen und Waisenkinder Prinzessinnen. Aber hier wird, wie ich sehe, aus einer Prinzessin eine Hexerin gemacht. Findet ihr nicht, dass das ein etwas kühnes Vorhaben ist?«
Vesemir blickte Geralt an. Der weißhaarige Hexer schwieg, sein Gesicht war reglos, mit keinem Wimpernzucken reagierte er auf die stumme Bitte um Unterstützung.
»Es ist nicht so, wie du denkst«, sagte der Alte heiser. »Geralt hat sie vorigen Frühling mitgebracht. Sie hat niemanden außer ... Triss, wie soll man nicht an Vorherbestimmung glauben, wenn ...«
»Was hat Vorherbestimmung damit zu tun, dass sie mit dem Schwert herumfuchtelt?«
»Wir bringen ihr den Umgang mit dem Schwert bei«, ließ sich Geralt leise vernehmen, wandte sich ihr zu und schaute ihr geradezu in die Augen. »Denn was sollen wir ihr sonst beibringen? Etwas anderes können wir nicht. Vorherbestimmung oder nicht, Kaer Morhen ist jetzt ihr Zuhause. Wenigstens eine Zeitlang. Die Übungen und das Fechten machen ihr Spaß, halten sie bei Gesundheit und Kondition. Erlauben ihr, die Tragödie zu vergessen, die sie durchgemacht hat. Das ist jetzt ihr Zuhause, Triss. Sie hat kein anderes.«
»Viele Leute aus Cintra« – die Zauberin hielt seinem Blick stand – »sind nach der Niederlage nach Verden geflohen, nach Brugge, nach Temerien, auf die Skellige-Inseln. Es sind Fürsten, Barone, Ritter darunter. Freunde, Verwandte ...«
»Die Freunde und Verwandten haben nach dem Krieg nicht nach ihr gesucht. Haben sie nicht gefunden.«
»Weil es ihnen nicht vorherbestimmt war?« Sie lächelte ihn an, nicht besonders offen, aber sehr hübsch. So hübsch sie nur konnte. Sie wollte nicht, dass er in solchem Ton sprach.
Der Hexer zuckte mit den Schultern. Triss, die ihn ein wenig kannte, wechselte sofort die Taktik, verzichtete auf die Argumente.
Sie schaute abermals Ciri an. Das Mädchen vollführte mit sicheren Schritten auf dem Schwebebalken eine schnelle Halbdrehung, hieb leicht zu, sprang sofort zurück. Die getroffene Puppe begann an der Leine zu schaukeln.
»Na endlich!«, rief Lambert. »Endlich hast du’s kapiert! Tritt zurück, und noch einmal. Ich will mich vergewissern, dass das kein Zufall war!«
»Dieses Schwert« – Triss wandte sich den Hexern zu – »sieht scharf aus. Der Balken wirkt glitschig und wackelig. Und der Lehrer sieht aus wie ein Idiot, der das Mädchen mit Gebrüll deprimiert. Fürchtet ihr kein Unglück? Oder zählt ihr vielleicht darauf, dass die Vorsehung das Kind schon davor bewahren wird?«
»Ciri hat fast ein halbes Jahr lang ohne Schwert geübt«, sagte Coën. »Sie versteht sich zu bewegen. Und wir geben acht, denn ...«
»Denn das ist ihr Zuhause«, vollendete Geralt den Satz leise, aber entschieden. In einem Ton, der die Diskussion beendete.
»Das ist es ja eben.« Vesemir holte tief Luft. »Triss, du musst müde sein. Hast du Hunger?«
»Das ist nicht zu leugnen.« Sie seufzte, gab es auf, Geralts Blick zu suchen. »Offen gesagt, ich falle bald um. Die letzte Nacht unterwegs habe ich in einer halb zerfallenen Hirtenhütte zugebracht, in Stroh und Säcke vergraben. Ich habe die Bruchbude mit Zaubersprüchen abgedichtet, sonst hätte ich wohl ins Gras gebissen. Ich träume von einem sauberen Bett.«
»Du wirst mit uns zu Abend essen. Sofort. Und dann schläfst du dich ordentlich aus und erholst dich. Wir haben für dich das beste Zimmer vorbereitet, das im Turm. Und haben dort das beste Bett aufgestellt, das sich in Kaer Morhen findet.«
»Danke.« Triss lächelte leicht. Im Turm, dachte sie. Danke, Vesemir. Heute mag es der Turm sein, wenn dir so viel daran liegt, den Schein zu wahren. Ich kann im Turm schlafen, im besten Bett von ganz Kaer Morhen. Obwohl ich lieber mit Geralt im
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