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Das Erbe der Elfen

Das Erbe der Elfen

Titel: Das Erbe der Elfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Klar, du verstehst das nicht und wunderst dich. Es überrascht und reizt dich. Dass jemand normale Liebe empfinden kann, normalen Hass, normale Angst, Schmerz und Leid, normale Freude und normale Trauer. Dass er gerade Kälte, Abstand und Gleichgültigkeit für unnormal hält. O ja, Geralt, das reizt dich, reizt dich so sehr, dass du an die Verliese von Kaer Morhen zu denken beginnst, ans Laboratorium, an verstaubte Flaschen voller mutagener Gifte  ...«
    »Triss!«, schrie Vesemir, den Blick auf Geralts plötzlich weiß gewordenes Gesicht gerichtet. Doch die Zauberin ließ sich nicht unterbrechen, sie sprach immer schneller, immer lauter.
    »Wen willst du betrügen, Geralt? Mich? Sie? Oder vielleicht dich selbst? Vielleicht willst du die Wahrheit nicht an dich heranlassen, die jeder außer dir kennt? Vielleicht willst du die Tatsache nicht akzeptieren, dass nicht die Elixiere und Kräuter in dir die Gefühle und menschlichen Regungen abgetötet haben! 
Du
 hast sie in dir abgetötet! Du selbst! Aber wage es nicht, sie in diesem Kind abzutöten!«
    »Schweig!«, schrie er und sprang vom Stuhl hoch. »Schweig, Merigold!«
    Er wandte sich ab, senkte entwaffnet die Arme.
    »Entschuldige«, sagte er leise. »Verzeih mir, Triss.«
    Er ging raschen Schrittes zur Treppe, doch die Zauberin sprang auf, war blitzschnell an seiner Seite, umarmte ihn.
    »Du wirst nicht allein gehen«, flüsterte sie. »Ich erlaube nicht, dass du allein bist. Nicht in diesem Augenblick.«
     
    Sie sahen gleich, wohin sie gelaufen war – am Abend war feiner, nasser Schnee gefallen und hatte den Hof mit einem dünnen, makellos weißen Teppich bedeckt. Darauf sahen sie die Fußspuren.
    Ciri stand auf dem höchsten Punkt der verfallenen Mauer, reglos wie eine Statue. Das Schwert hielt sie oberhalb der rechten Schulter, das Stichblatt in Augenhöhe. Die Finger der linken Hand berührten leicht den Knauf.
    Bei ihrem Anblick sprang das Mädchen hoch, wirbelte in einer Pirouette herum, landete weich in einer identischen, aber seitenverkehrten Position.
    »Ciri«, sagte der Hexer. »Komm runter, bitte.«
    Sie schien nicht zu hören. Sie bewegte sich nicht, zuckte nicht einmal. Triss sah aber, dass das Mondlicht, das die Klinge auf ihr Gesicht zurückwarf, silbern auf einer Kette von Tränen glänzte.
    »Niemand wird mir das Schwert wegnehmen!«, rief sie. »Niemand! Nicht einmal du!«
    »Komm herunter«, wiederholte Geralt.
    Sie schüttelte herausfordernd den Kopf, sprang in der nächsten Sekunde abermals. Ein lockerer Stein rutschte knirschend unter ihrem Fuß weg. Ciri fuchtelte mit den Armen, versuchte das Gleichgewicht wiederzufinden. Es gelang ihr nicht.
    Der Hexer sprang.
    Triss hob die Hand, öffnete den Mund zu einem Levitationsspruch. Sie wusste, dass sie es nicht rechtzeitig schaffen würde. Sie wusste, dass Geralt es nicht schaffen würde. Es war unmöglich.
    Geralt schaffte es.
    Er wurde zu Boden geschleudert, fiel auf die Knie und auf die Seite. Aber er ließ Ciri nicht los.
    Die Zauberin kam langsam näher. Sie hörte, wie das Mädchen flüsterte und schniefte. Auch Geralt flüsterte. Sie verstand die Worte nicht. Wohl aber ihre Bedeutung.
    Ein warmer Wind begann in den Mauerritzen zu heulen. Der Hexer hob den Kopf.
    »Der Frühling«, sagte er leise.
    »Ja«, bestätigte sie und schluckte Speichel hinunter. »Auf den Pässen liegt noch Schnee, aber in den Tälern  ... In den Tälern ist schon Frühling. Reisen wir ab, Geralt? Du, ich und Ciri?«
    »Ja. Es ist höchste Zeit.«
     

Am Oberlauf des Flusses erblickten wir ihre Städte, so fein, als seien sie aus dem Morgennebel gewoben, aus dem sie hervortraten. Uns schien, sie müssten sogleich verschwinden, im Winde verfliegen, der die Wasserfläche kräuselte. Es gab dort kleine Palais, weiß wie Seerosenblüten. Es gab Türmchen, die aus Efeu geflochten schienen, es gab Brücken, geschwungen wie Trauerweiden. Und es gab andere Dinge, für die wir keine Namen und Bezeichnungen fanden. Dabei hatten wir doch schon Namen und Bezeichnungen für alles, was unsere Augen in dieser neuen, wiedergeborenen Welt sahen. Plötzlich, irgendwo in den fernen Winkeln unserer Erinnerung, hatten wir die Namen für Drachen und Greifen gefunden, für Sirenen und Nymphen, für Sylphiden und Dryaden. Für die weißen Einhörner, die in der Dämmerung aus dem Flusse tranken, die schlanken Köpfe zum Wasser geneigt. Allem hatten wir Namen gegeben. Und alles war uns nahe, vertraut, war unser geworden.
    Außer

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