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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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alles Gold, was glänzte. Er zog eine Grimasse, als Friko von Oettingen einen triumphierenden Ruf ausstieß und beschloss, die nächsten achtzehn Tage gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Kapitel 36

    Ulm, 20. Juli 1368

    Die Demütigung brannte noch immer. Wie befürchtet, hatte Ortwin vor einigen Tagen seine Unterkunft im Grünen Baum aufgeben und zu Ulrich von Ensingen ziehen müssen, der für sich, seine Lehrlinge, Gesellen und Söhne die oberen beiden Stockwerke im Haus einer verwitweten Tuchhändlerin gemietet hatte. Anstatt in seiner eigenen Kammer zu schlafen, teilte er sich jetzt wieder einen Raum mit Martin, dem anderen Gesellen, den er schon früher nicht hatte ausstehen können. Frömmlerisch und gottergeben verbrachte dieser einen Großteil seiner freien Zeit damit zu beten – was Ortwin nicht weiter gestört hätte, wenn dem Kerl nicht eingefallen wäre, die halbe Nacht hindurch halblaut um Vergebung seiner Sünden und Schutz vor der Pest zu flehen.
    »Der Herrgott wird dir deine Arbeit nicht abnehmen«, spottete er, während er seine Werkzeuge schulterte. »Du solltest dich besser beeilen. Die Sonne geht gleich auf.« Er verdrehte die Augen, als Martin ein Kreuz schlug und das hölzerne Kruzifix, das er stets um den Hals trug, küsste. Kopfschüttelnd griff Ortwin nach einer Kerze, stieg die knarrenden Treppen zur Küche hinab und schlang naserümpfend das einfache Frühstück in sich hinein. In dem schmalen, niedrigen Raum stank es nach Essig und altem Blut, da die Besitzerin der Unterkunft für teures Geld Tücher erstanden hatte, die mit dem Blut von Flagellanten getränkt waren. Diese – die ein Haus angeblich vor der Pest schützten – hatte sie überall verteilt. Und da die Ärzte davor warnten, vor Sonnenaufgang zu lüften, war der Gestank morgens am schlimmsten.
    Nachdem Ortwin den letzten Bissen mit verwässertem Apfelwein hinuntergespült hatte, nahm er vorsorglich einen Schluck mit Priestersalz verfeinerten Theriaks, duckte sich unter dem Sturz der niedrigen Eingangstür hindurch und machte sich auf den Weg zum Münsterplatz. Wie jeden Morgen und Abend zogen auch an diesem Tag die Totengräber von Haus zu Haus, um die zum Teil achtlos aus den Fenstern geworfenen Pestopfer auf ihre Karren zu laden.
    Schaudernd wandte er sich ab, als ein Mönch, der den Leichenkarren begleitete, sich über eine in besudelte Tücher gewickelte Frau beugte, um festzustellen, ob diese noch lebte. Glaubte man den Gerüchten, kam es nicht selten vor, dass die Familien der Erkrankten diese erbarmungslos in Säcke einnähten und in den Rinnstein warfen, obschon sie noch atmeten. Da den Verstorbenen die Beisetzung in geweihter Erde versagt blieb, wenn sie vor ihrem Dahinscheiden keine Absolution empfingen, hatten es sich einige Priester und Ordensbrüder zur Aufgabe gemacht, so viele Seelen wie möglich vor der ewigen Verdammnis zu bewahren. Diejenigen, bei denen alle Hilfe zu spät kam, wurden vor den Toren der Stadt in Gruben verscharrt, an deren Rand häufig noch verwitterte Holzkreuze von der letzten Epidemie zeugten.
    Offensichtlich war noch ein Funken Leben in der Frau, da der Kirchenmann segnend die Hand über sie hielt. »Expecto resurrectionem mortuorum et vitam venturi saeculi. Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt. Amen«, verkündete er salbungsvoll, bevor er der Frau die Hände auf der Brust faltete und zu einem leiernden Gebet ansetzte.
    Schnell, um nicht mit ansehen zu müssen, welche Grauen sich unter den Leichentüchern verbargen, wandte Ortwin den Blick ab und setzte seinen Weg fort. Einen Moment lang war die Vorfreude auf den heutigen Tag wie weggeblasen, da ihn die eben beobachtete Szene daran erinnerte, dass auch unter Ulrich von Ensingens Dach bereits zwei Mägde und ein Knecht der Seuche erlegen waren; und dass kaum jemand die Quarantäne lebend überstand. Doch mit jedem Schritt, den er sich von den Karren entfernte, kehrte die Hoffnung zurück, dass die Krankheit weiter abflauen würde. Laut dem Priester, der am vergangenen Sonntag das Hosianna im Sanctus sieben Mal wiederholt hatte, zeigte Gott den Sündern seine Gnade, indem er die Geißel schneller von ihnen nahm als beim letzten Ausbruch der Pest. Auch wenn Heinrich von Husen diese gnädige Tendenz der Tatsache zuschrieb, dass sein Schwager Arn Ulrich von Ensingen als Werkmeister de facto abgelöst und somit den Unwillen des Herrn beschwichtigt hatte.
    »Seht Ihr jetzt endlich, dass Gott uns ein

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