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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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enttäuscht.
    »Leider nicht«, erwiderte der flachsblonde Hans bedauernd und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, dass Ortwin vor einigen Tagen aufgebrochen ist, um sie nach Hause zu bringen.« Der Ausdruck auf Wulfs Gesicht ließ ihn den Kopf einziehen. »Mehr kann ich dir nicht sagen, ehrlich!« Seine Sommersprossen tanzten, als er die Nase kräuselte. »Ich hoffe nur, du findest sie vor ihm.«
    In Wulfs Magen verhärtete sich der Knoten der Angst, der sich seit Tagen nicht mehr aufgelöst hatte. »Vielleicht kann Anna von Ensingen mir sagen, wohin Brigitta geflohen ist«, sprach er den Gedanken aus, der ihm vor der Ankunft der beiden Freunde gekommen war. »Sie wird sicher nicht wollen, dass ihre Tochter einen Mörder heiratet!« Bei diesen Worten rissen sowohl Hans als auch Lutz die Augen so weit auf, dass sie aus den Höhlen zu treten drohten.
    »Mörder?«, flüsterte Hans entsetzt, doch Wulf winkte ungeduldig ab.
    »Seid mir nicht böse, aber jede Minute zählt.« Er saß auf. »Sobald ich mit Brigitta zurück bin, erzähle ich euch alles.« Mit diesen Worten wollte er auf Ulrich von Ensingens Haus zutraben, doch Hans hielt ihn mit einem Griff an den Zügel zurück.
    »Dort wirst du kein Glück haben«, sagte er leise und wies mit dem Daumen über die Schulter auf die Franziskanerabtei. »Anna von Ensingen ist im Hospital. Ich glaube, sie ist furchtbar krank.« Er zögerte einen Augenblick, bevor er hinzusetzte: »Beeil dich! Keiner hier will, dass Brigitta etwas zustößt.«
    Dankbar hob Wulf die Hand zum Abschied und wendete sein Reittier. »Das will ich auch nicht«, murmelte er und biss die Zähne aufeinander.
    Am Hospital angekommen, überließ er seinen Wallach einem Novizen und setzte den Infirmarius von seinem Wunsch in Kenntnis, die Gemahlin Ulrich von Ensingens zu besuchen.
    »Eigentlich kann ich Euch nicht zu ihr lassen«, tönte der erschreckend magere Heiler pompös, doch seine Einstellung änderte sich schlagartig, als Wulf ihm einige Münzen als Spende für den heiligen Rochus in die knochige Hand fallen ließ.
    »Der Herr segne Euch«, säuselte er salbungsvoll und schlug ein Kreuz vor Wulfs Brust, bevor er die Ärmel seines Gewandes raffte und den Schatz in den Opferstock fallen ließ. »Dort drüben«, wies er den jungen Mann an und stakste mit hocherhobenem Haupt vor ihm her – vorbei an eng gestellten Bettkästen, in denen Kranke und Sterbende fieberten, wimmerten oder vor Schmerz brüllten. Der stickige Raum war erfüllt vom Gestank des Todes, und während die beiden Männer hastig an einem von schwarzen Flecken entstellten Leichnam vorbeieilten, schluckte Wulf nur mit Mühe die in ihm aufsteigende Übelkeit.
    »Wer auf der Straße an der Pest erkrankt, wird hierhergebracht«, informierte ihn der Infirmarius und deutete mit dem Kopf auf einen etwa fünfjährigen Knaben, den soeben einer der Tonsoren mit einer breiten Klinge zur Ader ließ. Wenngleich der tiefe Schnitt in seiner Armbeuge dem Jungen große Pein bereiten musste, lag er regungslos in den blutgetränkten Kissen.
    »Die meisten überleben kaum die ersten beiden Nächte«, fuhr der Arzt fort und hielt vor einem dünnen Vorhang an, der eines der Betten von den übrigen abgrenzte. Nachdem er den Stoff zur Seite geschoben hatte, mahnte er: »Seht zu, dass Ihr sie nicht zu sehr aufregt. Sie braucht viel Ruhe.«
    Das allerdings schien Wulf untertrieben, als er die in weiße Laken gehüllte Gestalt Anna von Ensingens erblickte. Durchscheinend wie Pergament spannte sich die fahle Haut über einem Schädel, dessen Knochen deutlich hervortraten, und die einzige Farbe im Gesicht der Kranken waren die bläulich schimmernden Augenringe. Ihr Atem ging rasselnd und schwer, und der unnatürliche Glanz in den braunen Augen sprach von dem verzehrenden Fieber, das in ihr brannte. Als Wulf sich vorsichtig zu ihr hinabbeugte, verriet keine Reaktion, dass sie seine Anwesenheit bemerkt hatte, und er richtete sich hastig wieder auf, als ihm ein durchdringender, fauliger Geruch in die Nase stieg.
    »Die Krankheit frisst sie von innen auf«, raunte der Infirmarius, der hinter Wulf getreten war, diesem ins Ohr. »So ist sie schon seit Tagen.« Seine klauenartige Rechte schloss sich um Wulfs Handgelenk. »Eine lebende Tote.« Er fuchtelte vor den blicklosen Augen der Kranken herum, wie um zu demonstrieren, was er meinte. »Ihre Beichte ist abgelegt, ihre Sünden vergeben. Der Herr muss sich nur noch ihrer Seele erbarmen und sie aus diesem Jammertal

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