Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
dunklen Schopf zu den starken Händen, die inzwischen zu Fäusten geballt waren.
»Erkennt Ihr mich jetzt endlich?«, knurrte Wulf mühsam beherrscht, und das scharfe Luftschnappen des Steinmetzen beantwortete diese Frage besser als alle Beteuerungen es gekonnt hätten.
Verwirrt wanderte Ulrichs Blick von dem Hut in Wulfs Gürtel zu dem Wappen auf seinem Rock und schließlich zu dem kantigen Gesicht des jungen Mannes, in dem die unterschiedlichsten Gefühle Widerstreit hielten.
»Du?!«, stieß er nach einem endlos scheinenden Augenblick fassungslos hervor und rieb sich das Kinn, als habe ihm jemand einen Faustschlag versetzt. »Was …?«, hub er an.
Doch Wulf unterbrach ihn grob. »Wo ist Brigitta?«, zischte er gefährlich ruhig und funkelte den Baumeister an, der – um das Gesicht zu wahren – empört aufbrauste.
»Ihr Bräutigam sucht sie bereits«, stieß er um Haltung bemüht hervor, doch als Wulf ohne Vorwarnung vorschnellte und ihn am Kragen packte, entfloh ihm ein heiserer Laut.
»Ihr Bräutigam steht vor Euch!«, donnerte er und schob sein Gesicht so nah an das des Kleineren, dass dieser seinen Atem spürte. »Ortwin ist ein Mörder, Mann!« Er stieß Ulrich heftig von sich und rang um Selbstbeherrschung. »Ein Mörder! Begreift Ihr das?!« Eine steile Ader trat auf seine Stirn. »Ich habe selbst gesehen, wie er ein Mädchen ertränkt hat«, flüsterte er, da ihm die Erinnerung an den furchtbaren Mord die Kehle zuschnürte. »Er macht vor nichts halt!« Ein flehender Unterton schlich sich in seine Stimme. »Sagt mir, wo sie ist. Es ist noch nicht zu spät.« Um seine Unterlippe davon abzuhalten zu zittern, biss er so heftig darauf, dass er Blut schmeckte.
Als Ulrich von Ensingen ihn lediglich anstarrte, als sei ihm ein Geist erschienen, fluchte er ungehalten: »Verdammt! Hat Euch jemand die Zunge ausgerissen?! Oder wollt Ihr nicht verstehen?« Eine Sekunde spielte er mit dem Gedanken, den Älteren mit der Waffe zum Reden zu zwingen, doch eine innere Stimme warnte ihn vor diesem Schritt. »Ich werde Brigitta heiraten«, fuhr er etwas ruhiger fort. »Ganz egal, was Ihr dazu sagt.«
Er wandte sich von dem Baumeister ab und trat zurück ans Fenster, wo er die Hände auf den schmalen Sims stützte. »Eure Mitgift könnt Ihr behalten«, beschied er mit dem Rücken zu Ulrich, dessen heftiges Atmen seine Erregung verriet. »Ich habe genug Geld, um ihr ein Leben im Überfluss zu bieten.« Er lachte freudlos und kehrte dem Steinmetz wieder das Gesicht zu.
Dieser – bleich wie die Wand – hatte sich inzwischen auf den Stuhl sinken lassen und das Kinn in die Hände gestützt. »Also gut«, murmelte Ulrich schließlich kaum hörbar. »Es musste wohl so kommen. Vielleicht hat von Husen recht, und Gott bestraft meinen Hochmut.« Er hob den Kopf. »Ich kann dir allerdings nicht viel sagen.«
Kapitel 50
Schwäbische Alb, zwischen Ulm und Altheim, 9. August 1368
So schwer konnte es doch nicht sein, einen Flusslauf zu finden!, dachte Brigitta verzagt und blieb keuchend stehen, um sich die längsten der unzähligen Dornen aus den Kleidern zu ziehen.
Wenngleich nur vereinzelte Sonnentupfer das dichte Blätterdach durchdrangen, war es bereits so brütend und stickig, dass ihr das gestohlene Hemd am Leib klebte. Schon längst hatte sie es aufgegeben, den unaufhaltsam rinnenden Schweiß aus ihren Augen zu wischen, die vom Salz und der halb durchwachten Nacht rot und gereizt waren. Wie schon seit Stunden spitzte sie auch jetzt die Ohren, um aus all den Geräuschen der Natur das Plätschern der Lone herauszuhören – allerdings auch dieses Mal ohne Erfolg. Allmählich fürchtete sie, dass es ihr niemals gelingen würde, einen Weg aus dem zunehmend dichter werdenden Wald zu finden, und je länger sie sich durch Büsche und Dickicht kämpfte, desto mehr hatte sie das Gefühl, sich im Kreis zu bewegen. Sie hätte nicht auf den Schäfer hören und auf dem halbwegs erkennbaren Pfad bleiben sollen, der sie von Ballendorf nach Neenstetten geführt hätte! Dann hätte sie auch den als Englenghai bezeichneten Forst, der sie mehr und mehr ängstigte, vermieden. Seit zwei Tagen irrte sie nun schon in dieser Wildnis umher, ohne auch nur das kleinste Zeichen des Flusses zu finden, der sie nach Bernstadt bringen würde!
Ein Rascheln zu ihrer Linken ließ ihr Herz schneller schlagen. War es wieder nur ein Reh oder sollte sie jetzt erfahren, warum die Leute in Altheim behaupteten, der Wald sei verhext? Instinktiv kauerte sie
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