Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
erlösen.« Sein vorzeitig gealtertes Gesicht verzog sich mitleidig. »Ihr könnt hier nichts ausrichten. Es wäre besser, wenn Ihr geht.«
Nach einem letzten Versuch, Anna von Ensingen aus ihrem apathischen Zustand aufzurütteln, gab Wulf schließlich auf und ließ sich vom Infirmarius zurück in die Eingangshalle des Hospitals führen.
Dort deutete der Arzt eine leichte Verneigung an, bevor er verkündete: »Gott ist barmherzig, er wird ihr den Weg weisen wie all seinen Schafen.« Ein kaum wahrnehmbares Aufleuchten in seinen Augen ließ Wulf vermuten, dass er überlegte, ihn um eine weitere Spende anzugehen, doch etwas in seiner Haltung schien den Mönch davon abzuhalten. »Gehet in Frieden«, säuselte dieser schließlich und zog sich diskret zurück.
Mürrisch trat Wulf in den Hof der Abtei, auf dem Novizen, Händler und braun gewandete Klosterbrüder hin und her eilten, um ihren Aufgaben nachzugehen.
So hatte er sich den Besuch im Hospital nicht vorgestellt!, grollte er und beschloss, in Ulrichs Haus auf den Baumeister zu warten. Dann konnte dieser ihm wenigstens nicht aus dem Weg gehen. Sein Mund nahm einen grimmigen Zug an. Ganz gleich, wie sehr ihm der Aufbruch unter den Nägeln brannte, es nützte nichts, ziellos in Ulm umherzustreifen, ohne zu wissen, wo er anfangen sollte zu suchen.
Mit missmutiger Miene ließ er sich seinen Wallach bringen, den er über den staubigen Münsterplatz führte, bis er bei der Behausung des Steinmetzen angelangt war. Dort ließ er den schweren Eisenklopfer gegen das Eingangstor krachen, das wenig später von einem drallen Mädchen mit Mehl an der Schürze geöffnet wurde. Nachdem er sein Begehren vorgebracht hatte, knickste sie artig und rief einen Knecht, und ein weiteres Mal wechselten die Zügel des Falben die Hände.
»Kommt hinauf in die Stube«, lud ihn die Magd ein und führte ihn die Treppen ins Obergeschoss hinauf, das Wulf in seiner Zeit unter dem Dach des Baumeisters nicht ein einziges Mal betreten hatte.
Seltsam, dachte er, nachdem das Mädchen verschwunden war, um ihm eine Erfrischung zu bringen. Wie anders ihn die Leute auf einmal behandelten! Er strich mit den Fingerkuppen über das Katzenwappen auf seiner Brust. Beinahe schien es, als habe er einen unsichtbaren Schlüssel gefunden, der Türen öffnete, die dem Steinmetzgesellen stets verschlossen geblieben waren.
Dankend nahm er den Krug schäumenden Gewürzbieres und einen Teller mit kaltem Braten, Käse und Brot entgegen und trat damit ans Fenster, sobald er in der geräumigen Stube alleine war. Ewig konnte die Auseinandersetzung vor dem Rat ja nicht dauern!, dachte er kauend, und obschon seine Gedanken ganz woanders waren, zog der unvollendete Kirchenbau seinen Blick magisch an. Was wohl der Grund für die schlampigen Zustände war? Vermutlich die Intrigen Heinrich von Husens, beantwortete er sich die Frage selbst, als er sich an die Szenen erinnerte, die der ehrgeizige Ratsherr mehr als einmal aufgeführt hatte.
Er hatte gerade den letzten Bissen geschluckt, als er eine Gestalt von Süden her über den Platz stürmen sah. Der um die Beine des Mannes flatternde Tabbard verlieh diesem einen Moment lang das Aussehen eines stelzbeinigen Storches, doch als er in die Sonne trat, erkannte Wulf die konservative Kleidung Ulrich von Ensingens. Die Kappe auf den grau melierten Locken saß etwas schief, beinahe als wäre der Wind daruntergefahren, und die Haltung des Steinmetzen ließ deutlich erkennen, dass er vor Zorn bebte.
Wie um sich auf die unausweichliche Auseinandersetzung vorzubereiten, zupfte Wulf seinen Rock zurecht, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und wandte das Gesicht der Tür zu.
Wenig später ertönte der Bass des Hausherrn im Erdgeschoss, und kurz darauf polterten schwere Schritte die Treppen hinauf. Kaum hatte er die Stube betreten, zog eine Gewitterwolke über das Gesicht des Älteren, und einzig die Gesetze der Gastfreundschaft schienen ihn davon abzuhalten, Wulf die Tür zu weisen.
»Also?«, fragte er unhöflich und zog einen der um den langen Tisch verteilten Stühle zu sich heran, um sich auf der Lehne abzustützen. »Was ist es, das Euch so sehr an meiner Tochter interessiert? Wie Ihr zweifellos sehen könnt, bin ich ein viel beschäftigter Mann.« Er kniff die Augen zusammen, um den Besucher, der – wie bei ihrer ersten Begegnung auf der Baustelle – die Sonne im Rücken hatte, genauer in Augenschein zu nehmen. Als dieser sich ihm näherte, zuckten seine Blicke von dem
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