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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, als sie den Ritter mit dem Jagdmeister und Bolko in den Stallungen verschwinden sah, wo schon bald lautes Wiehern erklang. Vermutlich suchten sie die Jungtiere aus, mit denen sie morgen in aller Herrgottsfrühe das erste Mal zur Jagd reiten wollten. Sie schmunzelte, als sie sich die beinahe kindliche Freude vorstellte, mit der die Männer die Vorzüge und Nachteile der Vollblüter diskutierten.
    Eine tief fliegende Fledermaus ließ sie zusammenfahren, doch kaum hatte sie erkannt, dass es sich lediglich um eines der harmlosen Tiere handelte, die jeden Abend auf Beutesuche gingen, schüttelte sie – über ihre eigene Schreckhaftigkeit lachend – den Kopf. Es war wohl besser, wenn sie hineinging, dachte sie, füllte den kleinen Korb zu ihren Füßen mit Rosenblättern und raffte die Röcke. Langsam erklomm sie die Treppen zur Halle, wo sie einem der Mädchen den Auftrag gab, ihr noch einen Krug Gewürzwein in ihre Kammer zu bringen. Da sich der Tag dem Ende neigte, würde sie sich bettfertig machen und darauf warten, dass ihr Gemahl – wie jede Nacht – zu ihr kam, um das Lager mit ihr zu teilen.
    Ein warmes Gefühl durchströmte sie, und sie presste die Hand auf ihren Bauch. Wann sie das Leben in sich wohl das erste Mal spüren würde? Als sie mit ihrer Tochter schwanger gegangen war, hatte das Kind sie nach zwanzig Wochen so überraschend getreten, dass sie ihre Frühstücksmilch verschüttet hatte; doch insgeheim hoffte sie, dass sie bei dieser Schwangerschaft nicht so lange warten musste. Wie sehr sie sich darauf freute, Wulf stolz zu zeigen, wie sich sein Sohn danach sehnte, endlich das Licht der Welt zu erblicken!
    Als sie ihr Gemach erreicht hatte, streute sie aufgekratzt die Rosenblüten in eine Schale mit Wasser, die sie neben dem am Fenster stehenden Kerzenleuchter platzierte. Während sie heiter die zahllosen Knoten und Schnüre ihres Gewandes löste, verscheuchte sie den leisen Schatten der Furcht wie eine lästige Fliege. Wie immer, wenn sie sich die Zukunft ausmalte, hoben die am Grund ihrer Seele begrabenen Ängste ihr Haupt. Warum sollte der Frieden unter Kaiser Karl nicht weiter andauern?, fragte sie sich und fuhr versonnen mit den Fingerkuppen über ihren Oberarm, bevor sie die Fucke zu Boden gleiten ließ und nach einem Kienspan griff, um die restlichen Kerzen und Öllämpchen zu entzünden. Niemand würde ihr ihren Gatten oder gar ihren Sohn wegnehmen! Das würde Gott nicht zulassen!
    Das Klopfen an der Tür unterbrach ihre Gedanken, und nachdem sie der Zofe den Wein abgenommen hatte, beruhigte sie sich weiter. Außer einem unbedeutenden Italienzug hatte die Regierungszeit des deutschen Kaisers bis jetzt kaum ein Konflikt überschattet; ja, manche munkelten sogar bereits, dass das Rittertum bald überflüssig werden würde, wenn der Frieden noch länger währte. Warum sollte ihr dann ausgerechnet in dem Moment, in dem sie ihr Glück gefunden hatte, das Schicksal in die Suppe spucken? Sie schüttelte den Kopf. Nein, das war sicher nicht der Wille des Herrn.
    Hatte der Allmächtige nicht Wulf die Kraft gegeben, den Schmerz zu besiegen, den der Abschied von seinem Sohn ihm bereitet hatte? Und hatte Er in seiner grenzenlosen Barmherzigkeit nicht auch dafür gesorgt, dass der Ritter das Raupenkleid der Niedergeschlagenheit, das ihn seit dem Tod seiner ersten Liebe gefangen gehalten hatte, abgeworfen und eine Neugeburt erlebt hatte?
    Sie trat ans Fenster, um den blutroten Sonnenuntergang zu genießen. Wie sehr sie am vergangenen Morgen darum gebetet hatte, dass der Aufbruch des jungen Mannes ihr den Geliebten, den sie gerade erst entdeckt hatte, nicht wieder entreißen würde. Noch immer saß die Sorge tief. Versonnen löste sie das flachsblonde Haar und ließ es locker über den Rücken fallen, während sie daran zurückdachte, wie ein Teil ihres Gemahls vor ihren Augen ausgelöscht worden war, nur um kurz darauf durch etwas ersetzt zu werden, für das Adelheid keine Worte fand. Es war beinahe, als habe er mit dem Verschwinden des Reiters am Horizont beschlossen, die Qualen der Vergangenheit zu begraben und endlich in Frieden ruhen zu lassen.
    Sie seufzte leise und befreite sich von ihrem Untergewand. Noch kam ihr die ganze Situation ein wenig unwirklich vor, und manchmal fürchtete sie gar, sie könne aus einem Traum erwachen, den der Teufel ihr vorgaukelte. Doch dann gab ihr ein Besuch der Burgkapelle die Zuversicht zurück, dass Gott keines seiner Schafe

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