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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Hilfskräfte zu züchtigen, die sich einen Augenblick ausgeruht hatten. Kopfschüttelnd beobachtete Wulf, wie der Vorsteher die Knaben ohrfeigte, bevor er sie mit harten Worten davonjagte.
    »Wenn er so weitermacht, gehen uns bald die Arbeiter aus«, flüsterte Lutz und bedachte Wulf mit einer Grimasse, welche dieser mit einem Nicken erwiderte. »Ich glaube, er würde selbst bei seiner eigenen Beerdigung noch etwas zu mäkeln finden«, setzte der Ältere hinzu, bevor er sich wieder in seine Arbeit vertiefte.
    Auch Wulf schwang seinen Zweispitz mit neuem Elan, da es keinen Sinn hatte, den Unmut des Meisters mehr als gewöhnlich auf sich zu ziehen. Während er die Seiten des Blockes glättete und Grate entfernte, ließ er seine Gedanken zu den Neuigkeiten abschweifen, die er vor wenigen Tagen erhalten hatte.
    Nachdem er immer wieder erfolglos versucht hatte, Erkundigungen über die Gräfin Katharina von Württemberg einzuholen, hatte ihm schließlich am Montag einer der aus der Gegend stammenden Hauer mit einem Achselzucken mitgeteilt, dass diese schon vor langer Zeit verstorben war. »Da kommst du sechzehn Jahre zu spät, mein Junge«, hatte der Mann bedauernd versetzt und die wettergegerbte Stirn gerunzelt. »Kein Wunder, dass dir da niemand hat weiterhelfen können. Die Gemahlin des jetzigen Grafen heißt Elisabeth. Nur noch wenige hier kennen die schöne Katharina.« Ein wehmütiger Schatten war über sein Gesicht gehuscht. »Man sagt, Ulrich von Württemberg hat sie so lange bei Wasser und Brot gehalten, bis sie schließlich an der Pest erkrankt und gestorben ist. Es ist eine Schande.« Bevor Wulf, dem es die Sprache verschlagen hatte, seine Fassung wiedererlangt hatte, hatte er hitzig hinzugefügt: »Aber er hat seine Strafe erhalten! Vor zwei Jahren hat ihn bei einem Ausritt der Leibhaftige geholt.« Damit hatte der Hauer sich dreimal bekreuzigt und sich wieder seiner Arbeit zugewendet, ohne darauf zu achten, dass seinem Gegenüber alle Farbe aus den Wangen gewichen war.
    Wenngleich Wulf seine leibliche Mutter seit dem Streit mit seinem Bruder immer und immer wieder verwünscht hatte, war ihm bei der vagen Hoffnung, nach so langer Zeit endlich ihre Spur gefunden zu haben, das Herz in die Hose gerutscht. Die Vorfreude, die ihm in die Magengrube gefahren war, als der Steinmetz seine Frage zuerst bejaht hatte, war jedoch bereits nach dem ersten Satz einem kalten Gefühl des unwiederbringlichen Verlustes gewichen, als sein Verstand die Worte des Mannes verarbeitet hatte. Tot und begraben! Um das Zittern seiner Hände und den Schweißfilm auf seiner Haut zu verbergen, hatte er sich tief über einen Quader gebeugt, um diesen mit fahrigen Bewegungen zu säubern. Kein Wunder, dass sie die Nachrichten seiner Zieheltern nie beantwortet hatte!
    Noch immer nagte das schlechte Gewissen an ihm. Hatte er seinem leiblichen Vater ähnlich unrecht getan, indem er ihn in Gedanken als Taugenichts, Lebemann und Verräter abgestempelt hatte? Was, wenn dieser ebenfalls der Pestepidemie erlegen war und nie etwas von Wulfs Existenz erfahren hatte? Zwar hatte er auch das Wappen des buckelnden Katers unter einem fadenscheinigen Vorwand herumgezeigt, doch war es von keinem der Männer im Steinbruch erkannt worden.
    Während sich der Nieselregen allmählich in einen prasselnden Guss verwandelte, grübelte er über sein Elternhaus nach. Der Zorn, den er seinen Zieheltern gegenüber empfunden hatte, war in den Tagen, die er mit sich selbst, den meist wortkargen Hauern und der eintönigen Arbeit alleine gewesen war, vollständig verraucht, und ein Gefühl der Niedergeschlagenheit hatte von ihm Besitz ergriffen. Hatte er die beiden Menschen, von denen er im Zank geschieden war, nicht achtzehn Jahre lang abgöttisch geliebt?
    Ein kleines Rinnsal platschte vor ihm auf den mit fauligem Stroh bedeckten Boden und bildete eine Lache, die er mit leerem Blick betrachtete. Verdankte er ihnen nicht alles, was er bis jetzt erreicht und gelernt hatte? Sein Brustkorb schmerzte, als er so tief Luft holte, dass seine Lungen protestierten. Hatte er sich im Eifer des Gefechts auch an ihnen versündigt? Das liebevolle Gesicht seiner Ziehmutter, das sich in seinen Träumen immer öfter in eine Maske der Trauer verwandelte, tauchte vor seinem inneren Auge auf, und er schluckte schwer. Er musste aufhören, sich mit Erinnerungen zu quälen, die nichts an der Gegenwart ändern konnten! Energisch kniff er die Lider aufeinander und verscheuchte die Gedanken, die ihn

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