Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
entgegen aller tapferen Vorsätze nicht mehr loszulassen schienen. Das eintönige Hämmern der anderen beruhigte ihn ein wenig, und er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Werkstück zu – um allerdings wenige Augenblicke später bereits wieder abzuschweifen.
    Als ob seine Gefühle nicht schon genug durcheinander waren, wurde das Wirrwarr in ihm noch durch die Empfindungen verstärkt, die er der Tochter seines Meisters entgegenbrachte. Obschon er ihr nur kurz begegnet war, hatte dieser Beinahe-Zusammenstoß ihn so beeindruckt, dass ihre bezaubernde Gegenwart ihn Tag und Nacht verfolgte. Wie war es möglich, dass ein Mädchen ihn so aus dem Gleichgewicht bringen konnte?, fragte er sich und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln, als ihm klar wurde, wie einfältig diese Frage war. Hatte er nicht oft genug erlebt, wie seine Ziehmutter ihren Gemahl mit einem kaum wahrnehmbaren Augenaufschlag, einem Schmunzeln oder einer winzigen Geste dazu bringen konnte, ihr die Welt zu Füßen zu legen? Anders als die Väter seiner Freunde hatte Wulfs Vater niemals die Stimme, geschweige denn die Hand gegen seine Gattin erhoben, die er behandelte, als sei sie aus zerbrechlichem Ton.
    Bevor seine Grübelei zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren konnte, zwang Wulf sich dazu, sich auf seine jetzige Aufgabe zu konzentrieren. Da die Oberseite des Steins inzwischen glatt genug war, wandte er sich der Rückseite zu und befreite auch diese von scharfen Kanten und Unregelmäßigkeiten. Lange Zeit waren das Klirren der Werkzeuge und das Schnaufen der Männer das Einzige, das den plätschernden Regen begleitete, bis schließlich zur siebten Stunde eine helle, von den Wänden des Steinbruchs widerhallende Glocke zur Abendmahlzeit rief. Steif und schlecht gelaunt erhoben sich die Bossierer und reihten sich wortkarg in die Schlange vor dem Küchenzelt ein, dessen rußgeschwärzter Leinwand selbst der Regen nichts anhaben konnte.
    »Wenigstens hat es ein wenig nachgelassen«, murrte einer der Männer hinter Wulf mit einem Blick in den sich langsam auflockernden Himmel. »Wenn das so weitergeht, schwimmen wir bald davon!«
    Schweigend ließ sich Wulf von der einsilbigen Köchin ein Stück fettigen Siedfleisches auf die Haferpampe in seinem Teller laden, die durch eine dicke Scheibe Mischkornbrot und einen Kanten Käse ergänzt wurde. Da die Männer sich je zu dritt einen Krug gemeinen Weins teilten, blieb sein Holzbecher leer, bis er ihm wenige Momente später von einem der Lehrlinge bis an den Rand gefüllt wurde.
    »Was für ein Scheißtag!«, stellte der inzwischen ebenfalls verdrossene Lutz fest, als er sich neben Wulf auf eine der harten Bänke im Freien schob. Wenngleich eine weit ausladende Eiche den Essplatz ein wenig schützte, zogen die jungen Männer dennoch die Kapuzen ihrer Mäntel über die Köpfe, um zu verhindern, dass es ihnen in den Kragen tropfte.
    »Mein Arsch tut weh und ich kann den Arm bald nicht mehr heben«, murrte Lutz übellaunig und biss herzhaft in sein Brot. »Wie lange müssen wir uns hier noch schinden?«, brachte er unter Kauen hervor und wischte die fettigen Hände an den ohnehin schon vor Dreck starrenden Hosen ab. »Wenn ich nicht bald wieder etwas anderes tun kann, als tagein, tagaus diese vermaledeiten Brocken zu behauen, fange ich an zu schreien!«
    Trotz aller Niedergeschlagenheit konnte sich Wulf bei der ehrlichen Verzweiflung des Freundes ein Lachen nicht verkneifen. »Hör auf zu jammern. Du wirst schon früh genug wieder auf einem gepolsterten Schemel sitzen können«, zog er den schmatzenden Lutz auf, von dessen Händen erneut das Öl troff. »Du stellst dich ja an wie ein Mädchen.«
    Die Empörung ließ dem Älteren beinahe das Essen aus dem Mund fallen, doch als er das schelmische Funkeln in Wulfs Augen sah, knuffte er diesen freundschaftlich in die Seite. »Ja, ja«, bemerkte er trocken, nachdem er geschluckt hatte, und breitete mit gespielt großer Geste die Arme aus. »Anstatt uns zu beklagen, sollten wir den Ausblick genießen. So etwas werden wir so schnell nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
    Wulfs Grinsen wurde breiter. So weit das Auge reichte, wurde der Steinbruch von gelb-weiß getupften Wiesen, dichtem Wald und Feldern eingerahmt, auf denen die Raps- und Leinpflanzen bereits kniehoch standen. Wenn der Wind aus Westen kam, stank es jämmerlich nach dem gelben Raps, der seit einigen Jahren zur Herstellung von Lampenöl angebaut wurde. Im Vergleich zum Stadtleben bot diese ländliche

Weitere Kostenlose Bücher