Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
ihren bürgerlichen Namen abgelegt hatte. Diese wechselte noch kurz ein paar Worte mit einer weiteren schwarz-weiß gekleideten Gestalt, bevor sie den Ärmelrock raffte und auf Brigitta zuschritt. Wie immer seit dem Auszug der ältesten Tochter Ulrichs von Ensingen durchströmte Brigitta ein Gefühl des Bedauerns, als sich die schlanke Gestalt näherte. Das edel geschnittene Gesicht wurde von einem weißen Tuch und einem Schleier so verhüllt, dass nur bei genauem Hinsehen zu erkennen war, von welch blendender Schönheit die junge Frau war, deren voller Mund sich zu einem Schmunzeln verzog.
»Ah, Bruder Thomas, ich sehe, Ihr habt Euch meiner Schwester angenommen.«
Zwei rote Flecken erschienen auf den Wangenknochen des Mönches, der hastig den Blick senkte, etwas murmelte und sich mit einem scheuen Nicken zurückzog.
»Der ist in dich verliebt«, bemerkte Brigitta respektlos und küsste die Schwester auf beide Wangen. Lange Zeit hatte sie nicht verstehen können, warum Clementine sich für das Leben in einer christlichen Gemeinschaft entschieden hatte, da sie zweifelsohne jeden Mann hätte haben können, den sie begehrte. Doch ihre jüngsten Erfahrungen ließen sie die Ursache hinter dem Rückzug in den Orden vermuten.
»So etwas solltest du nicht sagen«, gab die Ältere zurück und schaute dem Mönch bedauernd nach. »Allein der Gedanke ist lästerlich.« Einzig der Unterton in ihrer Stimme verriet Brigitta, dass ihr die Vorstellung durchaus nicht so unangenehm war, wie es sich geziemt hätte. Doch der eigentliche Grund ihres Besuches im Hospital verdrängte die Leichtigkeit ebenso schnell, wie sie gekommen war.
»Mutter schickt mich«, erklärte sie, nachdem sie einen kleinen Beutel vom Gürtel losgemacht und sich bei Clementine untergehakt hatte. »Sie möchte, dass ihr Bittgebete für Kaspar sprecht.«
Die Erwähnung ihres kleinen Bruders ließ Clementine anhalten und besorgt die kornblumenblauen Augen aufreißen, als die Jüngere ihr die klimpernde Geldkatze entgegenstreckte.
»Seit einigen Tagen behält er nichts mehr bei sich und wird immer dünner«, informierte Brigitta sie, während ihre Schwester fassungslos auf die Spende starrte. »Und blasser.« Die Ringe unter den Augen des ansonsten so lebensfrohen Knaben hatten inzwischen die Farbe reifer Zwetschgen angenommen, was Anna von Ensingen Schlimmes ahnen ließ. Auch litt er seit dem vergangenen Abend an einem schweren Fieber, das auch die Korallenhals- und Armbänder, mit denen sie ihren Sohn überladen hatte, nicht zu senken vermochten. Deshalb hatte sie ihren Gatten so lange bearbeitet, bis dieser zugestimmt hatte, die Heilig-Geist-Schwestern für Bittgebete zu bezahlen – wie in solchen Fällen allgemein üblich.
»Der Arzt hat ihn bereits drei Mal zur Ader gelassen und meint, Gebete würden ihm am meisten helfen.« Ihre Stimme drohte zu kippen, als sie sich aufs Neue ausmalte, was diese Aussage bedeuten konnte. Auch ihre Schwester war sichtlich beunruhigt. Nachdem sie ein Kreuz vor der Brust geschlagen hatte, drückte sie Brigittas Hand so fest, dass diese sie überrascht zurückzog, und wandte sich der Kirche zu.
»Ich werde sofort ein Heiligenlämpchen für ihn entzünden«, flüsterte sie und kramte in der Rocktasche nach einem zweiten Rosenkranz. »Gebt ihm heißen Wein mit Eigelb zu trinken, damit er kräftiger wird. Der Herr wird seine Hand über ihn halten und ihn vor Übel bewahren.« Damit drückte sie zum Abschied die kühlen Lippen auf Brigittas Stirn und verschwand in der Kapelle.
Besorgt und erleichtert zugleich starrte die junge Frau noch eine Weile auf den Eingang des bescheidenen Gotteshauses, bevor sie sich zum Gehen wandte, um durch die überfüllten Gassen zurück nach Hause zu gelangen. Sie hatte gerade die Münsterbaustelle erreicht, als ihr Herz bei dem Anblick, der sich ihr dort bot, mit einem schmerzhaften Stich aussetzte. Vor der in der Sonne backenden Bauhütte reichte ihr Vater in ebendiesem Moment dem verhassten Ortwin die Hand, die dieser kräftig schüttelte. Als spüre er ihr Entsetzen, zuckte der Blick seiner kalten Augen in ihre Richtung, und er legte den Kopf ein wenig zur Seite. Das hämische Lächeln, das in seinen Zügen aufblitzte, ließ Brigitta haltsuchend nach der Wand hinter sich tasten und die zitternden Finger auf die Brust pressen. Sollten ihre schlimmsten Befürchtungen so bald wahr werden?, fragte sie sich und kämpfte gegen die plötzliche Übelkeit an. Während bittere Galle in ihr aufstieg,
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