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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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schloss sie die Augen und hoffte, dass die Männer verschwunden sein würden, wenn sie sie wieder öffnete.

Kapitel 8

    Ulm, Anfang Juni 1368

    Mit einem erschöpften Prusten fuhr Wulf sich mit dem Ärmel seines Hemdes über die Stirn und ließ den Reisebeutel auf den staubigen Boden des Lehrknechtquartiers fallen. Trotz der Anstrengung der Reise und der unbarmherzigen Hitze, die seit einigen Tagen die Landschaft buk wie ein Backofen, war er froh, endlich von der Fron im Steinbruch erlöst zu sein. Nachdem die Reise bereits nach wenigen Meilen durch eine gebrochene Speiche verzögert worden war, hatten er und seine Begleiter über sechs Stunden gebraucht, um die knapp zwanzig Meilen zurückzulegen. Auf etwas weniger als einem Drittel der Strecke war ihnen die Ablösung aus Ulm entgegengekommen, an deren verdrießlichen Gesichtern Wulf deutlich hatte ablesen können, dass sie die Aussicht auf den Dienst im Steinbruch genauso wenig begeisterte wie ihn. Glücklich darüber, in der entgegengesetzten Richtung unterwegs zu sein, hatten er und Lutz den jungen Männern fröhlich zugewinkt, was ihnen jedoch lediglich einige schroffe Worte und Gesten eingebracht hatte. Sobald der Karren vor dem Steinlager am Rande der Baustelle zum Stehen gekommen war, hatte Lutz sich von ihm verabschiedet, um sich bei seinem Meister zu melden. Noch während der Rücken des Freundes sich entfernte, hatte Wulf ihn bereits beneidet. Zwar ließ sich der als Kreuzwinkelmeister bekannte Steinmetz gemäß der überall kursierenden Geschichten von seiner Gemahlin zum Narren halten, doch machte ihm als Bildhauer niemand etwas vor. Bereits bei seiner Ankunft in Ulm waren Wulf die stark persönlich geprägten Figuren des Turmportals aufgefallen, die sich dramatisch von den wohlgefälligen, eher langweiligen Werken außen an der Vorhalle abhoben, die laut Lutz von einem Meister Hartmann und dessen Gesellen stammten.
    »Als Ensingen mich dem Portal zugeteilt hat, konnte ich mein Glück kaum fassen«, hatte Lutz dem Freund mitgeteilt. »Ich hätte heulen können, als ich nach zwei Tagen in den Steinbruch musste!« Seine etwas mädchenhaften Züge hatten sich verzogen. »Wo ich doch so gehofft hatte, bei der Gestaltung der Jungfrauen mitzuwirken!« Daraufhin hatte er Wulf mit Feuereifer erläutert, dass der Kreuzwinkelmeister plante, fünf Kluge und fünf Törichte Jungfrauen in das Tympanon einzugliedern, die seine Gesellen mitgestalten durften. Wenn der Bau fertig war, würden sämtliche Besucher der Kirche unter diesem reliefartig geschmückten Giebelfeld über dem Türsturz die mächtige Vorhalle betreten. »Ich hoffe nur, er hat noch nicht alle Aufgaben vergeben«, hatte er kurz vor dem Ende der Fahrt gebrummt.
    Das hoffte Wulf auch, da er nach wie vor darauf brannte, seine bildhauerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Vielleicht wies ihn Ulrich von Ensingen ebenfalls dem Portal zu. Durstig setzte er seinen Trinkschlauch an die Lippen und nahm einen tiefen Zug des nach Ziegenleder schmeckenden Wassers. Seinen knurrenden Magen ignorierend, fischte er die Werkzeuge aus dem Reisebeutel und verstaute sie in der Tasche, die er auf die Baustelle mitnehmen wollte. Da sich die übrigen Bewohner der Kammer seit Sonnenaufgang auf dem Münsterplatz befanden, war das Huschen einiger aufgeschreckter Mäuse das einzige Lebenszeichen, das die drückende Mittagsstille unterbrach. Das Hämmern der Arbeiter war kaum zu hören, und auch das Haus wirkte ruhig und verlassen. Nachdem er sich versichert hatte, dass er nichts vergessen hatte, kletterte Wulf die steile Treppe in die Küche hinab, griff sich eines der vom Mittagessen übrig gebliebenen Brote und einen Kanten würzigen Käse und machte sich auf den Weg in die Halle. Dort hätte er um ein Haar einen schmächtigen Knaben umgerannt, der an seiner Tracht als Steinmetzlehrling zu erkennen war. »Entschuldige«, murmelte dieser und wischte sich ein paar zerzauste Haarsträhnen aus der Stirn. »Ich bin Matthäus Ensingen. Mein Vater schickt nach dir.«
    Damit gab er Wulf zu verstehen, ihm zu folgen und eilte – allen Hindernissen geschickt ausweichend – voran, bis die beiden schließlich außer Atem vor dem Westturm ankamen, an dem fieberhaft gearbeitet wurde. Dort verabschiedete er sich mit einem wortlosen Nicken und verschwand in einem Wald aus Gerüststangen, während Wulf den letzten Bissen schluckte und unwillkürlich die Schultern straffte. Kein Dutzend Fuß zu seiner Linken war der wild

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