Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
an, und einzig eine über dem Herdfeuer köchelnde, gelbliche Masse verriet, dass Schwester Anna bis vor Kurzem noch hier gewesen sein musste.
Nachdem sie einige Momente lang unentschlossen in den Topf geblickt hatte, stellte Brigitta ihren Korb auf einem der Tische ab und begab sich auf Wanderschaft. Zwar kannte sie den Hospitalteil des Gebäudekomplexes nebst Apotheke und Innenhof, doch bis jetzt hatte sie nie Gelegenheit gehabt, das am anderen Ende gelegene Narrenhäuslein in Augenschein zu nehmen – auch wenn sie schon oft vor Neugier beinahe geplatzt wäre.
Blinzelnd schloss sie die Augen, als sie durch die Küchentür in den Hof trat, in dem reges Durcheinander herrschte. Aus den Fensterluken der Dormitorien, die strikt nach Geschlechtern getrennt waren, hingen grobe Wolldecken, und auch das eine oder andere klumpige Kissen war zum Lüften über die Simse gelegt worden. Vor den Stallungen waren ein paar Männer damit beschäftigt, das schmutzverkrustete Fell der von den Koppeln geholten Pferde zu reinigen. In der Nähe der Badestuben der armen Pfründner drückten sich einige verhüllte Gestalten herum, die von einem halben Dutzend Bewaffneter bewacht wurden. Vermutlich handelte es sich um die von Freunden, Nachbarn oder gar Familienmitgliedern angezeigten Lepraverdächtigen, die darauf warteten, dass der Arzt sie zu sich rief. Eine Woge des Mitgefühls vertrieb den Ekel, der in Brigitta aufsteigen wollte, als ein Windstoß einer alten Frau den blickdichten Schleier vom Gesicht riss. Kaum mehr als solche erkennbar, prangte in dem von furchtbaren Knoten entstellten Gesicht eine eingefallene, breitgedrückte Nase. Der durch Geschwüre unnatürlich verzogene Mund öffnete sich zu einem erschrockenen Ruf, bevor die klauenartig verstümmelte Hand hastig nach dem schwarzen Tuch griff, um es bis an die wimpernlosen Augen zurückzuziehen. Was für ein jammervolles Schicksal diesen armen Kreaturen bevorstand!, dachte Brigitta voller Mitleid. Aus der christlichen Gemeinschaft ausgestoßen und für tot erklärt, würde wohl auch diese Alte ohne Wiederkehr in einem der außerhalb der Stadt gelegenen Leprosien verschwinden. Denn auf keinen Fall würde sie die Prüfung bestehen, bei der ein Arzt verschiedene, zum Teil erniedrigende Untersuchungen an den Erkrankten durchführte.
Als in diesem Augenblick ein gequälter Verzweiflungsschrei aus der Badestube verriet, dass der Test an einem der Vorgeführten positiv verlaufen war, zog Brigitta unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern und hastete weiter auf die Kirche zu, an die das schmale Narrenhäuslein anschloss. Unbeachtet von den Spitalpflegern und Mönchen näherte sie sich dem schlauchartigen Bau, dessen vergitterte Fenster an ein Gefängnis erinnerten. Kettenrasseln und dumpfe Laute verrieten, dass die darin in Tollkästen und Narrenkäfigen eingesperrten Geisteskranken gegen die Beschränkungen ankämpften, die sie davon abhielten, dem Rest der Gesellschaft gefährlich zu werden. Nachdem sie sich schüchtern umgesehen hatte, reckte Brigitta sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick in das dämmrige Innere zu erhaschen. Da ihre Augen von der Helligkeit im Hof geblendet waren, konnte sie jedoch lediglich einige schemenhafte Umrisse erkennen, und als eine dreckstarrende Fratze keine fünf Zoll vor ihr aus dem Nichts schoss, sprang sie mit einem Aufschrei zurück. Nur ein energischer Griff um ihren linken Oberarm verhinderte, dass sie im Staub landete, und während der zahnlose Irre in kreischendes Gelächter ausbrach, schüttelte der junge Ordensbruder an ihrer Seite den Kopf.
»Hier solltest du dich besser nicht aufhalten«, schalt er milde und warf dem Narren ein mitleidiges Lächeln zu. »Es sind verdammte Seelen, die schwer am Zorn des Herrn tragen.«
Auf und ab hüpfend stieß der Gefangene unter heiserem Kichern unverständliches Zeug hervor, und nur zu gerne gab Brigitta dem sanften Druck nach, mit dem der Bruder sie von dem Häuschen fortführte. Er wollte sie gerade am Brunnen vorbei zur Küche zurückgeleiten, als ihre Schwester im Eingang der Badestube auftauchte, vor der sich in Windeseile zwei Grüppchen bildeten. Die eine wurde von den bewaffneten Wächtern flankiert, während die andere sich schleunigst in Richtung Ausgang davonmachte.
»Ursu …«, hub Brigitta an, korrigierte sich jedoch augenblicklich. »Clementine!« Während der Mönch fragend die Brauen hob, winkte Brigitta der Schwester zu, die mit dem Eintritt in den Heilig-Geist-Orden
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