Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
wenn sie ihm unrecht tat?, fragte sie sich unsicher und starrte auf das über ihr an der Decke schwebende Bild des Heilands, als ob dieser ihre Frage an Ort und Stelle beantworten könnte. Hatte der Schmerz über den Verlust der neugeborenen Tochter nicht auch Wulf deutlich gezeichnet? Er hatte sich mit einem anderen, tiefer sitzenden und viel älteren Schmerz vermischt, dessen alles erstickende Gegenwart sie bereits in der Hochzeitsnacht gespürt hatte. Sie schluckte den sich verhärtenden Klumpen in ihrer Kehle und sprach ein weiteres Gebet für die unbefleckte Seele ihres toten Kindes, das auf dem Gottesacker des Dorfes ruhte. Die in der oberen Ecke der Apsis prangende Darstellung des grausamen Kindermordes in Bethlehem zog ihren Blick unaufhaltsam an, und sie senkte hastig den Kopf. Wenn er sein Leid doch nur mit ihr teilen würde! Keinen Augenblick glaubte sie daran, dass es einzig der Verlust der Geliebten war, den er ihr eines Tages an den Kopf geworfen hatte, um sie zu verletzen. Immerhin war diese bereits seit einem halben Leben unter der Erde. Sie verlagerte das Gewicht von einem Knie auf das andere und presste die Handflächen fester aneinander. Was immer es war, es hatte seine Seele vergiftet. Unbeabsichtigt schweifte ihre Aufmerksamkeit zu den zarten Zügen Maria Magdalenas ab, deren bartloses Gesicht sie deutlich von den übrigen Jüngern abhob.
    Als sie sich später an diesen Moment erinnerte, wusste sie nicht, was es gewesen war, aber die von der gemalten Figur ausstrahlende Ruhe und Selbstsicherheit verliehen ihr eine seltsame Stärke, wie sie sie vorher nicht gekannt hatte. Die neu gewonnene Entschlossenheit ließ sie die Schultern straffen. Sie würde ihren Gemahl für sich gewinnen, ganz egal, wie viele Hindernisse sie dafür überwinden musste! Wenn sie ihn dazu bringen konnte, von den Mägden, mit denen er hie und da sein Bett teilte, abzulassen, und seine Lust mit ihr zu befriedigen, dann würde sie ihn auch dazu bringen, sie irgendwann zu lieben. Sie presste entschlossen die Lippen aufeinander. Noch heute würde sie nach der heilkundigen Frau schicken lassen, die in einer Kate im Wald wohnte. Sie sollte ihr einen Liebestrank brauen, den sie Wulf in den Wein mischen würde. Sobald dieser seine Wirkung zeigte, würde sie die Wachen vor seinen Gemächern bestechen und sich zu ihm schleichen, um einen Sohn von ihm zu empfangen. Denn wenn sie ihm einen Stammhalter schenkte, würde er sie sicherlich in einem anderen Licht sehen! Als die Erinnerung an die beiden Fehlgeburten und das kurze Leben ihrer Tochter ihren Eifer ins Wanken bringen wollte, schlug sie hastig ein Kreuz und griff nach ihrem Rosenkranz.

Kapitel 10

    Ulm, Anfang Juni 1368

    »Ich weiß nicht, ob er bereits einen Gatten für dich ausgewählt hat, aber der Befehl deines Vaters war eindeutig«, stellte Brigittas Mutter sanft fest und ließ sich neben ihrer Tochter auf der Bettkante nieder, um dem allmählich wieder zu Kräften kommenden Nesthäkchen der Familie über den Schopf zu streichen. Obschon der kleine Kaspar immer noch sehr bleich und schwach war, hatte sich sein Zustand so weit gebessert, dass er bereits wieder feste Kost zu sich nehmen konnte. Beinahe zehn Tage lang hatte die Angst um ihn alles andere in den Hintergrund gedrängt, doch allmählich kehrte der Haushalt zur Tagesordnung zurück. »Es ist ohnehin an der Zeit, dass du über einige Dinge Bescheid weißt«, fuhr sie fort und gab der zehnjährigen Magd Barbara zu verstehen, den Platz an Kaspars Seite einzunehmen. »Sorge dafür, dass er die Medizin austrinkt«, mahnte sie und zog Brigitta auf die Beine. »Wir werden einige Zeit in der Badestube sein.«
    Während sich Brigittas Herzschlag beschleunigte, verwandelten sich ihre Knie in Butter. »Wie meint Ihr das?«, fragte sie mit belegter Stimme und starrte Anna von Ensingen an, die jedoch ungerührt den Gang entlang auf die Treppe zusteuerte. »Mutter?« Es war kaum ein Flüstern, das über ihre Lippen kam, und als sich die Angesprochene zu ihr umwandte, ließ die ungewohnte Unnachgiebigkeit in ihren braunen Augen Brigitta haltsuchend nach der Wand tasten. Nach einem kurzen Zögern machte Anna von Ensingen kehrt und legte ihrer Tochter leicht die Hand auf den Oberarm.
    »Ich weiß, wie du dich fühlst«, stellte sie ruhig fest. »Aber es ist nun einmal unausweichlich. Früher oder später musst du vermählt werden. Und es ist meine Pflicht, dich in die Geheimnisse des Ehegemaches einzuweihen.« Sie hielt einen

Weitere Kostenlose Bücher