Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
schönen Tochter des Hauses, die die Treppen hinauflief, als sie die Halle betraten, konnte seine Laune heben. Wie kam es, dass alle Freuden stets durch einen Wermutstropfen getrübt werden mussten? Bevor er sich weiter in dumpfem Brüten ergehen konnte, empfing ihn die Köchin mit einem mütterlichen Gruß, bugsierte ihn auf eine der Küchenbänke und bewirtete ihn, Hans, Ortwin und die Knechte wie verlorene Söhne. Während die anderen Männer sich über den Unfall und das Tagesgeschehen unterhielten, zogen sowohl Hans als auch Wulf die Schultern ein und schaufelten schweigend ihr Essen in sich hinein.
Eine halbe Stunde später zog er sich in die Schlafkammer zurück, wo er sich nach einer kurzen Katzenwäsche unbekleidet unter der dünnen Decke verkroch und innerhalb weniger Minuten einschlief. In unheimlichem Durcheinander jagten schreiend bunte Bilder durch seine Träume, aus denen er immer wieder aufschreckte, nur um kurz darauf wieder in unruhigen Schlaf zu fallen.
Mitten in der Nacht – der durch die schmalen Fensterluken hereinfallende Mond stand bereits hoch am Himmel – spürte er plötzlich eine kleine, warme Hand auf seinem Gesicht, die sich auf seinen Mund presste, als er keuchend die Luft einsog.
»Psssst«, flüsterte ihm der nächtliche Besucher, dessen offenes Haar ihn an der Nase kitzelte, ins Ohr, bevor er die Fingerspitzen seinen Hals entlanggleiten ließ. Auf der Stelle hellwach versuchte Wulf, die Gesichtszüge des Mädchens zu erkennen, das leise zu ihm unter die Decke schlüpfte und sich weich und üppig an ihn drängte. Verwirrt blinzelnd versteifte er sich, als sich ihre Hand an ihm hinabstahl und zielsicher seine Lenden fand. »Wer …?«, hub er an, doch ihre Lippen machten ihn mundtot, bevor er die Frage beenden konnte. Mit geübten Bewegungen schwang sie kurz darauf ein Bein über ihn, brachte sich rittlings in Position und dirigierte ihn in sich hinein. Während der junge Mann sich fragte, ob er wachte oder träumte, hob und senkte sie die Hüften, wobei das silberne Mondlicht ihre Haut matt schimmern ließ. Da das von dem offenen Haar eingerahmte Gesicht im Schatten lag, konnte Wulf lediglich die wild gekrausten, hellen Locken erkennen, die rhythmisch auf und ab wippten. Der ihn heiß durchzuckende Höhepunkt, der ihm bereits nach wenigen Augenblicken den Atem raubte, ließ ihn die Frage nach ihrer Identität vergessen und mit einem unterdrückten Stöhnen die Augen schließen. Das Herz hämmerte noch heftig in seiner Brust, als sich die nächtliche Besucherin mit einem weiteren Kuss von ihm verabschiedete und sich auf Zehenspitzen zur Tür stahl. Als die Angeln ein gequältes Quietschen von sich gaben, drehte sich der unter dem Fenster schlafende Ortwin mit einem unwilligen Grunzen auf den Rücken und begann zu schnarchen. Erhitzt, durcheinander und aufgewühlt verschränkte Wulf die Hände hinter dem Kopf und starrte an die Decke.
Kapitel 9
Burg Katzenstein, Anfang Juni 1368
»Wollt Ihr mich foppen, Weib, oder habt Ihr den Verstand verloren?« Eine steile Zornesfalte grub sich zwischen Wulf von Katzensteins Brauen, als seine Gemahlin die Halle betrat. Auf ihrem geflochtenen Haar saß eine zweiflügelige Schmetterlingshaube, doch es war das züchtig geschnittene, blau-graue Gewand, das ihn erboste.
Lange Zeit hatte Adelheid von Oettingen an diesem Morgen überlegt, welche Kleidung sie wählen sollte, bevor sie endlich all ihren Mut zusammengenommen und die elegante Fucke angelegt hatte. Zwar hatte sie nicht damit gerechnet, dass Wulf ihre Anwesenheit überhaupt bemerken würde, doch offensichtlich war er noch nicht so abgestumpft, wie er oft zu sein vorgab. Wenngleich seine Wut ihr Angst machte, verneigte sie sich artig und schlug den Blick nieder. »Verzeiht, ich wollte keineswegs Euren Unwillen erregen.« Unter halb gesenkten Lidern bemerkte sie, wie sich die Begleiter ihres Gemahls taktvoll zurückzogen, sodass sie nach wenigen Momenten beinahe alleine mit ihm war. Lediglich eine Handvoll Mägde, die hastig das Frühstück abtrugen und den Boden fegten, störte die spannungsgeladene Zweisamkeit der Eheleute. Durch die hohen Fenster der Halle fiel warmes Sonnenlicht auf den Steinboden, auf dem Spatzen und Mäuse sich um die vom Tisch abgefallenen Brotkrumen stritten.
Wie so oft, wenn sie sich Wulf auf weniger als vier Schritte näherte, ließ seine erdrückende Größe sie unwillkürlich den Kopf einziehen, da sie stets das Gefühl hatte, seine schiere Körpermasse
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