Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
könne sie innerhalb eines einzigen Momentes auslöschen. Wenngleich sie sich in seiner Nähe meist sicher fühlte, jagte er ihr manchmal schreckliche Furcht ein – besonders, wenn er wie jetzt die Beherrschung verlor. Als er eine der Pranken hob, um verächtlich den Stoff ihres Ärmels zwischen den Fingern zu reiben, schrak sie zusammen und hielt bange die Luft an.
»Keine Angst«, schnaubte er und ließ den Arm sinken. »Ihr könnt mich nicht provozieren.« Ohne die Tränen zu bemerken, die seiner Gemahlin in die Augen schossen, fuhr er grob fort: »Wenn Ihr schon unbedingt die Stetigkeit Eurer Liebe für mich zur Schau tragen müsst«, er wies mit dem Kinn auf den blauen Brustteil des Gewandes, »dann solltet Ihr davon absehen, sie mit Grau zu kombinieren!«
So wie die Farbe Blau Treue symbolisierte, hatte auch der weniger kräftige Farbton seine Bedeutung auf der Liebesskala. »Haben Euch Eure Gebete noch nicht über Euren Liebeskummer hinweggeholfen?«, fragte er schroff und machte Anstalten, sich brüsk von ihr abzuwenden, doch ihre erstickt geflüsterte Antwort ließ ihn in der Bewegung innehalten.
»Alles Beten kann mich nicht froh machen, solange mein Gemahl mich hasst«, wisperte sie und ließ den Tränen freien Lauf. »Warum liebt Ihr mich nicht?« Sie hob den Blick und sah flehend zu ihm auf. Der Ausdruck, der mit einem Schlag alle Emotion aus seinen Zügen wischte, ließ sie erneut die Augen niederschlagen und wünschen, sie hätte den Mund gehalten.
Einige gequälte Atemzüge lang unterbrach lediglich das Klappern der aus dem Raum flüchtenden Mägde die lastende Stille, bevor Wulf schließlich einen tiefen Seufzer ausstieß und den Kopf schüttelte. »Ich wünschte bei Gott, ich könnte Euch lieben«, gestand er resigniert. »Aber mein Herz ist schon lange tot.« Mit diesen Worten ließ er sie endgültig stehen und verschwand durch den Ausgang zum Hof, während Adelheid in leises Schluchzen ausbrach. Weinend raffte sie die Röcke und stolperte aus der Halle durch den Zwinger in den Kapellenbau, wo sie sich vor dem Altar auf die Knie fallen ließ. Heiße Tränen tränkten schon bald ihr kostbares Gewand, das sie sich am liebsten wieder vom Leibe gerissen hätte.
Zwar hatte sie sich niemals etwas vorgemacht, was den Grund betraf, aus dem heraus Wulf von Katzenstein sie zur Frau genommen hatte. Doch hatte sie selbst nach der katastrophalen Hochzeitsnacht immer gehofft, irgendwann seine Liebe für sich gewinnen zu können. Was hatte sie getan, dass er sie so sehr verabscheute?, fragte sie sich verbittert und starrte auf die prachtvolle Wandmalerei hinter dem Altar. Warum mied er ihre Gegenwart, als litte sie an Aussatz?
Allmählich versiegten die Tränen, und die Trauer wich der Leere der Enttäuschung. Wie hatte sie frohlockt, als sie nach den an zwei Händen abzählbaren Versuchen endlich ein Kind von ihm erwartet hatte – auch wenn der Akt, der zur Empfängnis geführt hatte, alles andere gewesen war als ein Akt der Liebe. Fröstelnd dachte sie an die kühle Gleichgültigkeit zurück, mit der er sie in sein Bett befohlen hatte, um sie zwar behutsam, aber wenig zärtlich zu begatten. Kaum hatte er sich in sie ergossen, hatte er ihr höflich ihr Nachtgewand gereicht und sie gebeten, in ihre Kammer zurückzukehren. Sie biss die Zähne aufeinander, als sie sich an die Demütigung erinnerte. Wie anders sie sich ihre Ehe ausgemalt hatte, als sie dem hünenhaften, gut aussehenden Ritter von einem ihrer Brüder vorgestellt worden war. Hatte seine starrköpfige Ungeschliffenheit sie zu Beginn noch mit Bewunderung erfüllt, war es inzwischen ebendiese Charaktereigenschaft, die sie oft an den Rand der Verzweiflung brachte. Wie unerfahren und einfältig es gewesen war, sich auszumalen, diese Sturheit durchbrechen und die Liebe des Ritters für sich gewinnen zu können! Denn – dessen war sie sich inzwischen sicher – lieben konnte Wulf von Katzenstein nicht.
Die in diesem Moment durch die seitlichen Fenster hereinfallende Sonne ließ die Farben des Wandgemäldes aufleuchten, als wolle sie sie von ihrem Kummer ablenken. Die blau-goldene Borte, welche den Gekreuzigten von den Aposteln zu seinen Füßen trennte, schien beinahe plastisch hervorzutreten, während das tiefrote Blut seiner Wunden einen kraftvollen Kontrast zu dem marienblauen Hintergrund bildete. Voller Ehrfurcht faltete sie die Hände und versank in einem stillen Gebet, von dem ihre Gedanken allerdings schon bald wieder abschweiften.
Was,
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