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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Hämmern der Zimmerleute und dem Knarren der Stangengerüste, die im leichten Wind hin und her schwankten. Als die Stimme des Freundes Wulf nach langer Zeit aus der Versenkung riss, wich die Hitze des Tages dem lauen Abend, und die meisten der Bildhauer hatten bereits ihre Siebensachen zusammengepackt und verstaut.
    »Du willst wohl die Nacht hier verbringen?«, scherzte Lutz mit einem Augenzwinkern und ging neben Wulf in die Hocke, um bewundernd über das nahezu vollendete Gesicht der Jungfrau zu streichen. »Sie ist wunderschön«, hauchte er ehrfürchtig und warf dem Jüngeren einen anerkennenden Blick zu. »So schön, dass Ensingen dir vielleicht nicht den Kopf dafür abreißt.« Die Bewunderung wich einem heiteren Ausdruck. »Wir treffen uns heute Abend in der Trinkstube. Kommst du mit?«
    Die dicht bewimperten Rehaugen klimperten schelmisch, als Lutz die Pose der fülligen Schankwirtin Gudrun nachahmte. »Du sollst es nicht bereuen, du strammer Bursche!« Obwohl Wulf im ersten Moment hatte ablehnen wollen, war die unbeschwerte Heiterkeit des Freundes so verlockend, dass er diesen grinsend in die Seite knuffte und zustimmte.
    »In einer Stunde?«, fragte er und verpackte sorgfältig sein Arbeitszeug. Dann würde ihm noch genug Zeit bleiben, etwas zu essen und sich ein wenig frisch zu machen. Der Schweiß des harten Arbeitstages klebte in einer salzigen Kruste auf seiner Haut, und da das Haus seines Meisters über eine allgemein zugängliche Badestube verfügte, würde er sich heute den Luxus eines ausgiebigen Bades gönnen.
    »Abgemacht«, erwiderte Lutz, schulterte sein Bündel und machte sich in Richtung Barfüßerabtei davon. Nachdem auch Wulfs Beutel auf seinem Rücken ruhte, schlenderte er an den übermannshohen Stapeln fertiger Backsteine vorbei, welche die Ziegler in den vergangenen Tagen gebrannt hatten. Da sowohl das untere Stockwerk des Westturmes als auch das gesamte Langhaus aus diesem widerstandsfähigen Material gemauert werden würde, wuchsen die Ziegeltürme täglich. Zwar schwangen die Mauerer unermüdlich ihre Kellen, doch wenn die Öfen weiterhin auf Hochtouren liefen, würden die Ziegelstreicher bald eine Pause einlegen müssen.
    Als Wulf das Haus Ulrich von Ensingens erreichte, verschwand er kurz im Quartier der Lehrknechte, bevor er sich auf den Weg in den Hof machte, um das geplante Bad zu nehmen. Auf seine Bitte hin gab ihm die Köchin drei dicke Scheiben Brot, Kochbirnen und einen Teller Eintopf mit, die er auf einer der Bänke abstellte, sobald er die Badestube betreten hatte. Leise vor sich hin pfeifend hievte er mehrere Kübel kalten Wassers in einen der kleineren Bottiche, goss den über der Feuerstelle erhitzten Eimer hinzu und ließ sich mit einem Wonnelaut in das lauwarme Nass sinken. Nachdem er sich eingeseift hatte, tauchte er mehrere Male unter, bevor er genüsslich das Abendessen zu sich nahm und nach einer guten halben Stunde erquickt und gesättigt wieder in seine Kleider schlüpfte.
    Sorgfältig tastete er nach dem in seiner Heuke verstauten Wappen seines Vaters, das er von nun an immer mit sich führen würde. Wer wusste, ob er vielleicht jemanden traf, der ihm in dieser Angelegenheit weiterhelfen konnte? Denn eines hatte er heute beschlossen: Er würde nicht vor lauter Furcht, etwas Niederschmetterndes zu erfahren, die Gelegenheit verstreichen lassen, in der Stadt Erkundigungen über den Liebhaber seiner Mutter einzuholen. Denn nur Kinder fürchteten sich vor der Angst! Und Angst war es, die ihn bisher davon abgehalten hatte, etwas zu unternehmen. Kalte, nackte Furcht vor dem, was er eventuell in Erfahrung bringen könnte.
    Voll neu gewonnenen Mutes zog er die Tür hinter sich ins Schloss und steuerte an der Waschstube und den Gärten vorbei in Richtung Hoftor. Er war gerade in den langen Schatten einer ausladenden Kastanie eingetaucht, deren Blätter im warmen Licht der Abendsonne matt glänzten, als direkt vor ihm eine schlanke Gestalt auftauchte, die bei seinem Anblick zusammenschrak. Zwei hektische rote Flecken malten sich auf die hohen Wangenknochen, als Brigitta den Korb vor ihrer Brust fester umklammerte und unwillkürlich einen Schritt vor ihm zurückwich. Der Bruchteil eines Augenblicks verstrich in spannungsgeladener Stille, bevor sie ihn erkannte und mit einem nur mühsam verborgenen Aufatmen den Rücken versteifte und die vollen Lippen aufeinanderpresste. Die beinahe schwarz wirkenden Augen verengten sich verächtlich, als sie ihn schweigend von oben bis unten

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