Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
Blick heben und voller Verwunderung beobachten, wie der bodenständige Meister Hartmann, dessen Gesellen für die äußeren Verzierungen der Vorhalle zuständig waren, sich wie ein Habicht auf den Kreuzwinkelmeister stürzte.
    »Überheblich und arrogant, das sind Eure Figuren«, keifte der graubärtige Bildhauer mit einem erbosten Fuchteln in Richtung des Zeltes, in dem Wulf, Lutz und die anderen Männer arbeiteten. »Ihr solltet ein wenig mehr Demut zeigen! All diese Details sind nicht nur unziemlich, sie müssen zweifelsohne den Unwillen Gottes erregen.«
    »Was soll das, Hartmann?«, fragte Wulfs Meister unterkühlt und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Stoßt Ihr jetzt in von Husens Horn?« Die Verachtung in seiner Stimme war beinahe greifbar. »Oder seid Ihr tatsächlich so bigott?«
    »Seht Euch doch nur diese Weiber an!«, keifte Hartmann weiter und wies anklagend auf drei bereits fertiggestellte Jungfrauen, deren Liebreiz enorm war – trotz der Tatsache, dass es sich um die törichte Spielart handelte. »Wer soll denn darin eine Warnung erkennen? So wie Ihr sie darstellt, kommt doch jeder auf den Gedanken, dass Ihr den Herrn verspottet.« Er stemmte die Hände in die Hüften und blickte zornig auf eine der Figuren hinab.
    »Besser als das langweilige Zeug, für das er den guten Stein verschwendet«, flüsterte Lutz respektlos und drehte dem Meister hinter dessen Rücken eine lange Nase. Während der Streit in unverminderter Lautstärke weiterging, setzte er hinzu: »Hast du seine Figürchen gesehen? Eine wie die andere. Sie halten sogar alle den Kopf gleich.« Er legte spöttisch den Kopf schief und zauberte ein dümmliches Lächeln auf sein Gesicht. »Ich bin der heilige Martin, und ich trage meinen Mantel in unglaublich bauschigen Falten.«
    Obwohl der Zank alles andere als komisch war, konnte Wulf sich ein Prusten nicht verkneifen. Es stimmte: Der Unterschied zwischen den Stilen der beiden Meister war beinahe dramatisch. Die Statuen des Kreuzwinklers waren voller Dynamik und Lebenskraft, dagegen wirkten die Figuren Hartmanns alle wie aus einem Guss.
    »Du solltest dich übrigens besonders vor ihm in Acht nehmen«, bemerkte Lutz mit einem Blick auf Wulfs Werkstück trocken. »Er bekommt die hier am besten nur aus der Entfernung zu Gesicht.« Das Feuer, das Wulf in die Wangen stieg, entlockte ihm ein Lachen. »Ich kann dich gut verstehen. Sie ist wirklich unglaublich!« Damit wandte er sich leise vor sich hin glucksend wieder seiner Arbeit zu und begann eine heitere Melodie zu summen, um das Gezeter der beiden Kampfhähne zu übertönen.
    Eine Zeit lang wogte der Zwist mit unverminderter Gewalt hin und her, bis Hartmann schließlich zornentbrannt davonstürmte und der Kreuzwinkelmeister ungerührt seine Gerätschaften wieder aufnahm.
    Zur Mittagszeit bekamen die Arbeiter ein einfaches Essen, bestehend aus einer Buchweizengrütze, mit Speck angemachtem Kraut, Fladenbrot, Blut- und Leberwurst und Bier. Hernach vertiefte Wulf sich erneut in sein Werkstück, während um ihn herum die Männer eine Geschichte erzählten, die ihn schon bald aufhorchen ließ.
    »Sie hätten das Tor eingerissen, wenn ihnen nicht ein Spatz gezeigt hätte, wie einfach es ist«, posaunte soeben ein rotwangiger Bildhauer mit weit aufgerissenen Augen. »Immer und immer wieder haben sie versucht, den Balken in die Stadt zu befördern, aber erst der kleine Vogel hat ihnen die Augen geöffnet. Wäre er nicht gewesen, wären sie niemals auf den Gedanken gekommen, es der Länge nach zu versuchen!«
    Nur mit Mühe verkniff Wulf sich ein Schmunzeln. So entstanden also Legenden, dachte er belustigt und nahm ein kleineres Werkzeug zur Hand, um die Augen seiner Jungfrau zu bearbeiten. Wenn er nicht selbst in der Schlange vor dem Herdbruckertor gestanden hätte, als der besagte Vorfall – allerdings ohne Spatz – sich zugetragen hatte, würde sicherlich auch er dem Mann mit offenem Mund lauschen, um die Geschichte am Abend weiterzutragen.
    »Man sollte dem kleinen Kerl ein Denkmal setzen«, schwatzte der Steinmetz weiter und zeigte auf einen Abfallstein, der bereits die grobe Form eines Spatzen mit einem Strohhalm im Schnabel zeigte. »Ich werde Meister Ulrich bitten, ihn irgendwo anbringen zu dürfen.«
    Dieser Einfall erntete erheitertes Lachen, doch schon bald wurden die Hauer wieder ernst und es senkte sich erneut Schweigen über die Gruppe. Das Geräusch von Metall auf Stein vermischte sich mit dem Brüllen der Hebemeister, dem

Weitere Kostenlose Bücher