Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
musterte. Während er wie erstarrt eine der weizenblonden Locken an ihrer Schläfe beobachtete, mit der die sanfte Abendbrise spielte, fühlte er seinen Mund austrocknen und seine Handflächen feucht werden. Er wollte gerade zu einer witzigen Bemerkung ansetzen, als sie ihm brüsk den Rücken zuwandte und Anstalten machte, davonzustolzieren.
Vor den Kopf gestoßen, zögerte er einen Moment, bevor er ihr nachsetzte und sich neben sie schob. »Wir sind uns noch gar nicht richtig vorgestellt worden«, bemerkte er höflich und vertrat ihr den Weg, um ihr die Rechte zu reichen, die er heimlich an seiner Hose abgewischt hatte. »Mein Name ist Wulf.«
»Ich weiß«, erwiderte sie spitz, ohne ihn anzublicken, und ignorierte die Hand, die Wulf verwirrt sinken ließ. »Hans hat dich eingeführt. Vielleicht erinnerst du dich noch daran.« Sie hielt kurz inne und runzelte die Brauen. »Aber vermutlich warst du in letzter Zeit zu beschäftigt.« Sie funkelte ihn verärgert an.
»Ich bin Brigitta, die Tochter deines Meisters«, fügte sie kalt hinzu und gab ihm mit einer knappen Geste zu verstehen, ihr aus dem Weg zu gehen. Als er ihren Wink ignorierte, zischte sie: »Nachdem das ja nun erledigt ist, wäre ich dir dankbar, wenn du mich durchlassen würdest. Ich wünsche dir einen schönen Abend!«
Damit machte sie einen Schritt auf Wulf zu, der allerdings wie festgemauert vor ihr stehenblieb und sie verdutzt und waidwund ansah. »Was willst du von mir?«, fauchte sie mit einem erzürnten Zurückwerfen des Kopfes. »Wenn du auf der Suche nach einer weiteren Trophäe bist, dann solltest du dich an die Mägde halten!« Damit bohrte sie ihm den Zeigefinger in die Brust und schob ihn unsanft zur Seite, um mit fliegenden Röcken durch das Tor zu verschwinden, das Wulf eine Zeit lang fassungslos angaffte. Sobald die Bedeutung ihrer Worte sein Gehirn erreichte, stieß er einen gequälten Laut aus und ballte die Fäuste an den Seiten, um sich davon abzuhalten, sich zu ohrfeigen. Verdammt! Wie hatte er nur so dumm sein können zu hoffen, dass sie niemals von seinem Abenteuer mit Ursula erfahren würde?
Da seine Beine ihm ohne Vorwarnung den Dienst versagten, ließ er sich auf das kleine Mäuerchen sinken, das den Gemüsegarten umfing. Damit hatte sich auch die entfernteste Hoffnung, sie jemals beeindrucken zu können, in Rauch aufgelöst. Lange Zeit saß er einfach nur da und haderte mit seinem Geschick, bis ihn schließlich das helle Glöckchen der Barfüßerkirche daran erinnerte, dass er eine Verabredung hatte. Lustlos und mürrisch kam er auf die Beine, trat einen Haufen Hühnerfedern beiseite und trottete auf den Ausgang zu, durch den auch Brigitta verschwunden war.
Kapitel 13
Ulm, Anfang Juni 1368
Ärgerlich über sich selbst und das Durcheinander ihrer Gefühle stürmte Brigitta blindlings durch die Straßen. Trotz des vorgetäuschten Hochmuts wünschte sie sich, nicht so grob zu Wulf gewesen zu sein. Nur am Rande nahm sie den erstickenden Gestank der Stadt war, der sich aus Kuh- und Pferdedung, menschlichen Exkrementen und Verwesung zusammensetzte. Er schien selbst die schwüle Hitze der vergangenen Tage verstärkt zu haben. Angewidert wich sie dem aufgebrochenen Kadaver einer verendeten Taube aus, auf dem sich grün schillernde Schmeißfliegen tummelten. Der süßlich stechende Geruch ließ sie die Nase rümpfen und die Schritte weiter beschleunigen, um so schnell wie möglich das Heilig-Geist-Spital zu erreichen und den Auftrag ihrer Mutter zu erledigen. Der Tag, der mit Waschen, Spinnen und weiteren Tätigkeiten im Haus ausgefüllt gewesen war, war wie im Flug verstrichen. Und da sie morgen mit ihrer Mutter die Tuche für das Brautkleid und ihre Mitgift aussuchen musste, hatte Anna von Ensingen darauf bestanden, dass Brigitta den Botengang noch heute erledigte.
»Wir werden mindestens ein Dutzend Gewandschneider aufsuchen müssen«, hatte sie gewarnt, was in Brigitta eine Mischung aus Aufregung und Bangigkeit hervorgerufen hatte. Als ihr Vater ihr am Vortag den Namen ihres zukünftigen Bräutigams genannt hatte, war sie vor Erleichterung um ein Haar in Ohnmacht gefallen. Denn obschon der etwa achtunddreißigjährige Meister Gerhard auf den ersten Blick ein wenig altbacken und trocken wirkte, zeugten die Lachfalten um seine grünen Augen von Humor und Milde. Zwar war er beinahe kahl, doch das gutmütige Gesicht machte diesen Makel mehr als wett.
»Er ist einer der angesehensten Meister der Zunft«, hatte Ulrich von
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