Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Ensingen ihr mitgeteilt und ihr befohlen, sich mit ihrer Mutter um die nötige Ausstattung zu kümmern. »Ihr werdet noch dieses Jahr vermählt.«
Zwar hatte die Erleichterung, dass Ulrichs Wahl nicht auf Ortwin gefallen war, Brigitta diese Tatsache beinahe froh akzeptieren lassen, doch das Zusammentreffen mit Wulf hatte etwas in ihr ausgelöst, das sie nicht zu erklären vermochte. Entgegen des selbstgerechten Zorns, den sie gegen ihn hegen wollte, hatte die Verwirrung in seinem Blick ihr einen prickelnden Schauer über den Rücken gejagt, den sie nur mühsam vor ihm verborgen hatte. Der beinahe unheimliche Kontrast des pechschwarzen Haares und der bernsteinfarbenen Augen hatte – trotz allen Ärgers – ihr Herz schneller schlagen lassen. Und als er sich vor ihr aufgebaut hatte, um ihr den Weg zu vertreten, waren ihr die breiten Schultern und der geschmeidige Körperbau aufgefallen. Nur mühsam hatte sie der Versuchung widerstanden, sich vorzustellen, wie er wohl ohne Hemd aussehen mochte, und noch immer wollte ihr bei der Erinnerung die Schamesröte in die Wangen steigen. Beinahe hätte sie in die ihr dargebotene Hand eingeschlagen, doch es war viel mehr die Furcht vor dem, was sie dabei empfinden könnte, als ihr Missfallen, das sie davon abgehalten hatte. Ein Kribbeln in ihrem Unterleib hatte sie unangenehm berührt von einem Fuß auf den anderen treten lassen, und sie betete, dass Wulf diese Geste als Ungeduld ausgelegt hatte. Denn auf keinen Fall wollte sie, dass er sich etwas darauf einbildete, wie er auf sie gewirkt hatte! Während ihre Zähne die ohnehin schon wunde Lippe bearbeiteten, hastete sie weiter nach Osten, bis die Ummauerung des Spitals vor ihr auftauchte, die sich dunkel vor dem Hintergrund des Umlandes abhob. Der Himmel hatte sich inzwischen zu einem verwaschenen Türkisblau verfärbt, und die ersten Schleierwolken zeigten bereits einen Hauch von Abendrot. In weniger als eineinhalb Stunden würde die Nacht hereinbrechen. Dieses Wissen ließ Brigitta beinahe unhöflich an der Torhüterin vorbei in die Küche des Hospitals stürmen, wo sie Schwester Anna Blumen, Kräuter und einige saftige Speckseiten überreichte, die diese strahlend entgegennahm. »Für die armen Pfründner«, ließ sie Brigitta wissen, deren Familie wie so viele andere mit ihren Spenden dafür sorgte, dass die mittellosen Alten ihren Lebensabend mehr oder weniger erträglich verbringen konnten.
Sobald ihr Korb geleert war, machte sich die junge Frau auf den Heimweg, der sie an der Schule des Spitals, der Beginensammlung und dem Judenhof vorbeiführte. Dort wollte sie gerade nach rechts in die Breite Gasse abbiegen, als direkt vor ihr ein mit Schlachtvieh beladener, dreiachsiger Wagen in einem Schlagloch versank und stecken blieb. Als der lautstark fluchende Lenker die Zugtiere brutal antrieb, brach das festgefahrene Hinterrad mit einem ohrenbetäubenden Krachen, was zur Folge hatte, dass der Karren nach unten sackte und nun vollends den Weg versperrte. Das schrille Quieken der Schweine verstärkte sich zu einem wahren Höllenspektakel, als einige herbeigeeilte Straßenbengel versuchten, den Verschlag zu öffnen, um sie zu stehlen. Lediglich das beherzte Eingreifen zweier Stadtwächter bewahrte den Besitzer der Tiere vor dem Verlust, der für den in das Waidblau der Bauern gekleideten Mann ohne Zweifel eine Katastrophe dargestellt hätte. Mit grimmigen Mienen und gezogenen Schwertern setzten die Wächter den zerlumpten Burschen nach, die sich jedoch in Windeseile in alle Himmelsrichtungen zerstreuten.
Trotz aller Eile fühlte Brigitta sich von der Menschenmenge angezogen, die sich innerhalb kurzer Zeit an der Unglücksstelle versammelte. Als habe jemand mit einem Stöckchen in einem Ameisenhaufen gestochert, strömten Männer, Frauen und Kinder aus den Häusern und Katen, um den Unglücklichen entweder zu beschimpfen oder ihm bei der Bergung seiner Fracht behilflich zu sein. Nachdem einige kräftige Burschen mithilfe der Zugtiere den Karren aus dem Loch geschoben hatten, sprang der Lenker vom Bock und ging neben dem zerborstenen Rad in die Knie. Die Flüche, die er im breiten Dialekt der Alb ausstieß, veranlassten manche Mütter, ihren Kindern die Ohren zuzuhalten und diese zurück ins Innere der Behausungen zu treiben. Als die Männer begannen, das schadhafte Rad abzubauen, verlor Brigitta das Interesse, wandte sich ab und schlenderte zurück zur letzten Weggabelung.
Wenn sie sich nach links wandte, würde sie
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