Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Nacht dem Tage folgte. Wie hatte sie nur so töricht sein können, die Liebe zu verachten? Sie für ein Hirngespinst und eine Lüge zu halten?
Ein schiefes Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Nichts würde mich glücklicher machen«, wisperte sie erstickt und vergrub sich erneut an seiner Brust. Die Wärme seiner beruhigend großen Hand drang durch den Stoff ihrer Fucke und breitete sich über ihren gesamten Rücken aus. Langsam, aber unaufhaltsam wanderte er weiter nach unten, doch als er gerade kurz davor war, ihre Rückseite zu erreichen, ließ die helle Stimme der durch die Tür polternden Ursula die beiden zusammenfahren und schuldbewusst voneinander zurückweichen.
»Brigitta! Beeil dich, deine Mutter schickt nach dir!« Das gerötete Gesicht der Magd verzog sich zu einem wissenden Feixen, als sie die Situation erfasste. »Du solltest besser nicht zu lange trödeln.«
Kapitel 18
Ulm, 19. Juni 1368
Die Bürgerwiese vor den Stadttoren Ulms glich einem Turnierplatz. Knatternd fing sich der aus Osten auffrischende Wind in dem goldenen Wappen, dessen drei übereinanderliegende, schwarze Hirschstangen seltsam verzerrt wirkten. Links und rechts der über zehn Fuß hohen Standarte entstand seit dem frühen Nachmittag eine kreisförmig angeordnete Zeltburg, die an Pracht kaum zu übertreffen war.
Während seine Männer den prunkvollen, weit ausgreifenden Poulun errichteten, , beobachtete Graf Eberhard von Württemberg geistesabwesend den ziellosen Zickzackflug einiger winziger Insekten. Der würzige Duft frisch gemähten Grases und schwitzender Pferdeleiber vermischte sich mit den Wohlgerüchen, die aus den fahrenden Backöfen strömten, bratenden Fleisches und köchelnder Suppen, mit denen für das leibliche Wohl der zahllosen Besucher gesorgt wurde. Wenngleich der Magen des aus seiner Residenz in Stuttgart angereisten Grafen seit Stunden knurrte, widerstand er den Versuchungen und kaute weiter grübelnd an einem Grashalm. Sobald sein eigenes Küchenzelt bereit war, würden seine Köche ihm und seinen Begleitern ein Bankett vorsetzen, im Vergleich zu dem die auf dem Markt angebotenen Speisen Schweinefraß waren! Die blassgrauen Augen starr auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, verarbeitete der dreiundfünfzigjährige Graf die Neuigkeit, die ihm einer seiner Vertrauten vor Kurzem zugetragen hatte. Seit der Abdankung seines Bruders Ulrich von Württemberg vor sechs Jahren suchte Eberhard fieberhaft nach dem Bastard, der seinem eigenen Sohn – sollte es zu einem Streit um die Erbfolge kommen – gefährlich werden konnte. Er lächelte süffisant. Wie ironisch, dass ausgerechnet der Bruder der untreuen Gattin Ulrichs, der in Geldnöten steckende Karl von Helfenstein, eine Fährte entdeckt zu haben schien, die Eberhard hoffentlich schon bald zu seinem illegitimen Neffen führen würde. Während er die Bitterstoffe aus dem Blattgrün lutschte, rieb er sich sinnierend mit der Hand über das bereits wieder stoppelige Kinn.
Um zu verhindern, dass er auch den Rest der durch seine Spielsucht stetig schwindenden Besitzungen an die Reichsstadt verkaufen musste, hatte der Helfensteiner Ritter den Grafen um einen Kredit gebeten. Dessen Stundung hing davon ab, ob die von ihm überbrachte Nachricht tatsächlich der Wahrheit entsprach. Mit einem abfälligen Verziehen der Mundwinkel beobachtete Eberhard, wie der nicht mehr ganz junge Ritter sich bei einer teuer gekleideten Dame anbiederte, die ihm ein gekünsteltes Lachen schenkte. Er würde Vorsicht walten lassen. Für Geld würde Karl von Helfenstein vermutlich seine eigene Mutter verschachern! Und seit dem Überfall von Wildbad im vergangenen Jahr traute Eberhard der schwäbischen Ritterschaft nicht mehr weiter, als er spucken konnte.
Die Erinnerung an den schmählichen Hinterhalt, bei dem ihm der kaisertreue Wolf von Eberstein nach dem Leben getrachtet hatte, brachte sein Blut in Wallung. Genau wie die Reichsstädte betrachteten die schwäbischen Ritter die Machterweiterung des Württemberger Grafen mit Misstrauen, weshalb Eberhard inzwischen nicht mehr ohne einen wahrhaft königlichen Tross reiste. Er schleuderte den ausgesaugten Grashalm von sich und verfolgte den lächerlichen Tanz, der sicherlich bald in der Schlafkammer der Dame enden würde. Er würde seine Männer auf die Suche nach dem Burschen schicken, von dem Karl von Helfenstein ihm atemlos berichtet hatte. Doch vermutlich würde er auch dieses Mal enttäuscht werden, ganz egal, wie sehr der Ritter beteuerte,
Weitere Kostenlose Bücher