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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Brigitta eine Zeit lang neuen Mut gegeben, der allerdings sofort im Keim erstickt wurde, als sie nach einem schweigend eingenommenen Frühstück zu Kaspar geführt worden war.
    Sie seufzte schwer. Wie selbstsüchtig, das eigene Schicksal zu beklagen!, schalt sie sich und tauchte eines der Leinentücher in die Schale mit Rosenwasser, um ihrem kleinen Bruder das Gesicht abzutupfen. Zuerst hatte sie es auf sich bezogen, dass ihre Mutter so beklommen und wortkarg war, doch als sie das fiebernde Kind gesehen hatte, war ihr klar geworden, dass Anna von Ensingen das Schlimmste fürchten musste.
    Sie war gerade dabei, Kaspars Waden mit kühlen Tüchern zu umwickeln, als sich die Tür in ihrem Rücken öffnete und der ganz in Schwarz gekleidete Stadtarzt den Raum betrat. Nachdem er sie mit einem wortlosen Nicken begrüßt hatte, schob er sie unzeremoniös zur Seite und beugte sich über den Patienten, um das Ohr auf dessen Brustkorb zu legen. Einige Atemzüge lang lauschte er mit angestrengter Miene, bevor er sich wieder aufrichtete und einige Gerätschaften aus seiner ledernen Tasche zog.
    »Lasst mich mit ihm allein«, befahl er Brigitta und ihrer Mutter, die ihn begleitet hatte. »Ich muss ihn schröpfen.«
    »Aber Ihr habt ihn doch erst gestern Abend zur Ader gelassen«, wandte Anna von Ensingen erschrocken ein, verstummte jedoch sofort, als der hakennasige Heiler ihr mit einer ungeduldigen Geste das Wort abschnitt. »Die fauligen Säfte müssen den gesunden Platz machen«, beschied er unwirsch und drehte Kaspar auf den Bauch, bevor er ihm das nasse Nachtgewand über den Kopf zog. Mit geübten Bewegungen setzte er ein schmales Messer an und machte den ersten Schnitt. Über diesen und viele weitere würde er die Schröpfköpfe setzen, die Kaspar von den Schadstoffen in seinem Körper befreien sollten.
    Schaudernd wandte sich Brigitta ab, als die ersten Tropfen hervorquollen. Draußen auf dem Gang wich sie dem Blick ihrer Mutter genauso aus wie diese dem ihren, doch bevor das lastende Schweigen von einer von ihnen unterbrochen werden konnte, sprang die Tür bereits wieder auf und der Arzt winkte sie zurück in die Kammer. Mit einem Kopfschütteln wischte er sich die blutigen Hände an einem Tuch ab, bevor er mit grimmiger Miene Kaspars Arm hob und auf eine dunkel verfärbte Beule in dessen Achselhöhle wies. Der Laut, den Anna von Ensingen ausstieß, als sie dieses untrügliche Zeichen erblickte, glich dem eines in die Falle getriebenen Tieres. Weiß wie ein Laken wich sie vor dem Heiler zurück und bekreuzigte sich mehrmals.
    »Ihr wisst, was das bedeutet«, sagte der Arzt nüchtern und stopfte seine gebrauchten Instrumente zurück in die bauchige Tasche. »Ich werde den Rat in Kenntnis setzen müssen. Die Anweisungen sind eindeutig.«
    »Nein!«, hauchte Anna und griff nach dem Arm des hochgewachsenen Mannes. »Lasst uns wenigstens einen Tag Zeit«, flehte sie, doch der Stadtarzt schüttelte bedauernd den Kopf.
    »Ihr wisst, dass ich das nicht kann. Euer Haus ist von einem Miasma, von fauler Luft, befallen. Niemand darf es ab heute verlassen oder hierher zurückkehren«, erwiderte er sachlich und schürzte die Lippen. »Aber ich werde die Wächter veranlassen, Euren Gemahl zu warnen.« Damit nickte er ihr knapp zum Abschied zu, drängte sich zwischen den Frauen hindurch und verschwand die Treppe hinab.
    Wie vor den Kopf gestoßen starrte Brigitta ihm nach, da auch sie die strengen Regeln kannte, welche der Rat der Stadt nach der letzten Pestepidemie verhängt hatte. Sie schluckte schwer, als sich schleichende Furcht zu ihrer Verzweiflung gesellte. Sobald der Arzt die Nachricht an die entsprechenden Stellen weitergeleitet hatte, würde die Stadtwache vor Ulrich von Ensingens Haus Posten beziehen und jedem den Zutritt verweigern. Das rote Kreuz, mit dem sie die Eingangstür kennzeichnen würden, würde jedem unmissverständlich mitteilen, dass die Pest Einzug in dieses Haus gehalten hatte. Vierzig Tage und Nächte würde Brigitta mit den anderen Unglücklichen, die sich zu dieser Stunde unter dem Dach ihres Vaters befanden, in der Quarantäne ausharren müssen, und jeder Verstoß gegen dieses Gebot würde unnachgiebig mit dem Tod geahndet! Zwar waren die Wächter verpflichtet, für das leibliche Wohl der Eingeschlossenen zu sorgen, doch zu verhungern war dann vermutlich ihre kleinste Sorge.
    Eine lang gezogene Wehklage riss sie aus den düsteren Gedanken. Während Brigitta den Abzug des Arztes verfolgt hatte, war Anna von

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